Dieser YouTube-Kanal ist ein Videospielmuseum mit 16.000 Ausstellungsstücken
Games werden aus verschiedensten Gründen unspielbar. Die Videos World of Longplay sind ein Archiv gegen das Vergessen.
Das Internet vergisst nichts, heißt es in einem weit verbreiteten, aber nachweislich falschen Sprichwort: Das Internet hat allein Ende März 2023 rund 1.000 Spiele vergessen, die ausschließlich als Download für 3DS und Wii U verfügbar waren, weil Nintendo seine alternden Onlineshops abgeschaltet hat. Vielen rein digital veröffentlichten Spielen für die Xbox 360 droht bald das gleiche Schicksal. So existiert beispielsweise das einzig für Nintendos erfolgloseste Konsole erschienene Indiegame Affordable Space Adventures legal nur noch als Let’s Play.
Dass immerhin diese Möglichkeit bleibt, ist Fans zu verdanken, die versuchen, solche digitalen Gedächtnislücken schließen. "Neben Museen gibt es noch andere Organisationen, die sich um Erhaltung von Videospielen kümmern", sagt Gerhard Weihrauch – "darunter auch Webseiten wie unsere mit den Longplay-Videos." Er ist einer von momentan neun Streamer*innen, die im Internet Archive und dem YouTube-Kanal World of Longplays vergessene Spielen dokumentieren.
Im Gegensatz zum Let's Play quatscht beim Longplay niemand dazwischen. Es werden einfach nur unkommentierte Spielszenen gezeigt. Dieses wortlose Nachspielen macht World of Longplays mittlerweile seit 2006. Das lose organisierte Team hat auf dem Kanal schon mehr als 16.000 Videos hochgeladen, die zusammengezählt über 1,2 Milliarde Views erreichen.
New Super Mario Bros. ist das meistgesehene Spiel
Das sind "16 Jahre auf YouTube, aber wir haben schon davor über unsere Webseiten Videos verbreitet", sagt Weihrauch. "Effektiv sind es sicher schon 20 Jahre." Damit gehört World of Longplays zu den Pionieren dieser Art der Archivierung. Kurz vorher hatte Reinhard Klinksiek das Konzept des Longplay 2002 mit C64-Spielen etabliert.
Auf ein einzelnes System beschränkt sich World of Longplays nicht, obwohl manche Titel besonders oft angesehen werden. Super-Nintendo-Plattformer scheinen beispielsweise besonders beliebt zu sein, ein Video von New Super Mario Bros. führt mit mehr als 21 Millionen Abrufen. Aber auch die Aufzeichnungen von Crazy Taxi, God of War und Resident Evil erreichen Millionen.
Wenn ein Video wie das zum Breakout-Klon Arkanoid oder dem PC-Shooter Chasm nur ein paar Tausend Views erreicht, ist das für das Team von World of Longplays allerdings auch kein Problem. "Im Endeffekt ist uns das egal", sagt Weihrauch, "da das Hauptziel darin besteht, möglichst viele verschiedene Spiele als Video vorzulegen."
"Wir haben ein Video-Backlog von zwei bis drei Jahren"
Wie lange es dauert, einen kompletten Durchlauf aufzunehmen, hängt vom Spiel und dessen Dauer ab. Das ist "aber in den meisten Fällen nicht allzu lange, wenn die Spiele mittels Emulatoren Savestates unterstützen." Das Team von World of Longplays nutzt dabei auch Techniken aus dem Speedrunning. Mit einer Mischung aus Input Recording und Speicherständen lassen sich vergeigte Passagen so neu aufnehmen, ohne, dass die Zuschauer*innen einen Game-Over-Bildschirm und anschließend Szenen doppelt sehen müssen.
Sorge, dass ihnen die neuen Inhalte ausgehen, muss sich das Team bei aller Arbeit ohnehin nicht machen. "Wir haben ein Video-Backlog von zwei bis drei Jahren", sagt Weihrauch. Ein neues Longplay erscheint dort mitunter erst zwei Jahre nach der Aufzeichnung. Im Internet Archive wird aber jedes Video direkt hochgeladen. "Das ist aber gut so, da nicht jeder Longplayer immer Zeit oder Muße hat, und so läuft man nie Gefahr, plötzlich keinen Content mehr zu haben."
Um den Content zu erstellen, muss man auch an die Spiele kommen. Das ist nicht immer einfach. Wer zum Beispiel Ataris 1989 erschienene Fahrsimulation Hard Drivin' nicht nur als Video sehen, sondern selbst spielen will, findet eine Version für moderne Konsolen in der Midway Arcade Treasures Sammlung. Die wiederum findet man heute auf legalem Weg nur über Kleinanzeigen – und am Ende wieder als Video auf YouTube.
Achtung: Spoiler für Final Fantasy 7
Die Longplays sind so nicht nur eine bequeme und niedrigschwellige Möglichkeit, sich einen Eindruck von einem Spiel zu verschaffen, ohne Emulatoren installieren oder Geld auszugeben zu müssen. Sie haben auch einen weiteren Vorteil: Sie sind zitierbar. Man könnte also direkt zum berühmten Twist von Final Fantasy 7 (Achtung, Spoiler!) springen – und muss nicht erst ein Drittel des umfangreichen JRPG durchspielen.
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