Dieser Entwickler hat Feuer erschaffen und sich daran fast die Finger verbrannt
Wer Dan Hindes nach Tipps für die Entwicklung systemischer Spiele fragt, bekommt als Antwort ein halb-ernst gemeintes: "Lasst es bleiben!" In sein Debütspiel Wildfire sind über fünf Jahre Entwicklungszeit geflossen – viel mehr als ursprünglich geplant. Inspiriert von Immersive Sims wie Dishonored, Deus Ex und Thief verspricht es eine komplexe simulierte Welt mit logischen Regeln, die die Spieler*innen ausnutzen können, um auf vielen Wegen ans Ziel zu kommen.
Schleichen, Schießen oder die Wache per Steinwurf ablenken? Solche Entscheidungen sind typisch für Spiele der Immersive-Sim-Designphilosophie. In Wildfire kommt noch die Option "alles Anzünden" dazu. "Die unausgesprochene Wahrheit über Wildfire ist, dass es quasi ein Fanspiel zu Avatar: Der Herr der Elemente ist", sagt Hindes. Ähnlich wie der Protagonist in der Animationsserie manipuliert die Hauptfigur die Elemente.
Ist eine Fackel in der Nähe, kann sie einen Feuerball erschaffen und Brände entfachen. Wasserflächen erlauben es der Spielfigur, in Blasen empor zu schweben oder Eisblöcke zu beschwören. Erdmagie macht aus Grasbüscheln Kletterranken, die dabei helfen, sich unerkannt einen Weg durch Level voller Patrouillen zu bahnen – zumindest in der fertigen Release-Version.
Am Anfang ist das Feuer
Zu Anfang der Entwicklung ist Feuer das einzige Element in Wildfire und Hindes ein Spieldesign-Neuling. Der Australier arbeitet zuvor als Spielejournalist, schreibt unter anderem für das Magazin Gamespot und betreibt mit einem Kollektiv von Mitstreiter*innen das Fanblog Sneaky Bastards, das Artikel und ein Buch über Stealth-Games veröffentlicht.
Inspiriert vom sich ausbreitenden Buschfeuer in Far Cry 2 beginnt Hindes, im Spielebaukasten Game Maker an etwas zu basteln, das später zu Wildfire wird. Er lernt Programmieren mit YouTube-Tutorials, holt sich Unterstützung für Artwork und Leveldesign. Sneaky Bastards wird zum Spielestudio, angeführt von Hindes und unterstützt durch eine Reihe von Freelancer*innen, die ihm auf Provisions- und Honorarbasis zuarbeiten.
Nach neun Monaten steht ein erster Prototyp, dann startet die Kickstarter-Kampagne. Ihr Erfolg bringt ein bescheidenes Budget von umgerechnet 13.000 Euro und zusätzliche Mühen. "Wir hatten Stretch Goals für die anderen Elemente", sagt er. "Wir haben diese Ziele erreicht – und ich habe wirklich nicht daran gedacht, wie viel mehr Arbeit das mit sich bringen würde."
Neue Gameplay-Funktionen einzuführen ist in jeder Art von Spiel eine Herausforderung, in Simulationen aber besonders folgenschwer. Hindes muss Erde und Wasser als neue Elemente in ein Spiel integrieren, dessen Systeme eng mit der Feuermechanik interagieren: Erdmagie-Ranken sind etwa brennbar, Wasser löscht Feuer. "Wenn man ein solches Feature einführt, muss es sich auf alles andere auswirken. Man hat also diesen exponentiellen Multiplikator von Komplexität. Das muss man akzeptieren, sonst bleibt man dem Kernkonzept dieser Art von Spielen nicht treu."
Der Rattenschwanz von Problemen ist lang: In Wildfire lassen sich absolvierte Level wiederholen, um optionale Ziele zu erfüllen – auch mit Fähigkeiten, die beim ersten Versuch noch nicht freigeschaltet waren. "Wenn man zurückkommt, kann man große Abschnitte oder Ziele einfach umgehen. Die können dann irrelevant oder trivial sein."
Darum dürft ihr in Wildfire nicht auf Pfeilen klettern
Das hat direkte Folgen für Leveldesigner Justin Keverne, der immer wieder Gebiete überarbeiten muss, während Hindes zugleich neue Mechaniken hinzufügt. Um die spielerischen Möglichkeiten etwas einzuschränken, entwerfen sie zum Beispiel Felsspalten, die die Spielfigur nur durchqueren kann, wenn sie alle getragenen Elemente ablegt. Der Aufwand ist trotzdem enorm und kleinteilig. "Wir mussten teilweise einzelne Level-Kacheln verschieben, weil eine andere Taktik ein völlig anderes Spielerlebnis für Leute bedeutet, die das Spiel mit neuen Upgrades erneut spielen", erklärt Hindes.
Wo komplexe Systeme miteinander interagieren, entstehen unvorhergesehene Effekte. Sie sind ein großer Reiz systemischer Spiele und laden zum Experimentieren ein. "Das große Geheimnis ist aber, dass man als Entwickler jede dieser Interaktionen bereits einkalkuliert hat", so Hindes. "Wenn man das nicht tut, könnte das Spiel abstürzen oder nicht richtig funktionieren. Man muss also durchgehen und jeden einzelnen Grenzfall finden."
Bei der Entscheidung, was bleiben darf und was gehen muss, helfen ein paar Fragen: Ist aus der Spiellogik heraus klar, was passiert ist? Ist der Effekt idealerweise positiv? Und wie aufwendig ist es, ihn fortan zu berücksichtigen? Manchmal kommen dabei Geheimtricks heraus, die in YouTube-Videos der Sorte "10 Dinge, die dir das Spiel nicht sagt" passen – etwa, dass man die Holzfesseln von NPCs in Wildfire nicht nur wegbrennen, sondern auch mit Eis sprengen kann.
Manchmal bleiben aber auch interessante Features auf der Strecke. "In einem frühen Build waren die Pfeile, die von Bogenschützen abgefeuert werden, feste physikalische Objekte", so Hindes. "Wenn sie in die Wände geschossen wurden, konnte man auf ihnen hochklettern, wenn man die Bogenschützen dazu bringen konnte, damit eine Leiter zu bilden", sagt er. "Das bedeutete aber auch, dass Wege ungewollt von einem Pfeil blockiert werden konnten." Das Frustrisiko ist zu hoch, die Pfeilleiter fliegt raus.
Zu wenig Planung, zu viele Rollen
Das Umbauen von Features und die parallele Entwicklung an verschiedenen, voneinander abhängigen Systemen bremsen die Arbeit an Wildfire. 2016 ist Hindes noch zuversichtlich, dass das Spiel im Folgejahr erscheinen kann, tatsächlich dauert es bis zum Release dann noch einmal drei Jahre.
Im Rückblick sind die wichtigsten Gründe für den steinigen Weg zur Veröffentlichung laut Hindes wohl mangelnde Erfahrung und Planung. "Ich bin ein Amateur, das war mein erstes Spiel", sagt er. "Wenn wir zurückgehen und das Spiel noch einmal machen würden, würden wir auf jeden Fall alles von Anfang an durchplanen. Es wäre ein viel saubererer Prozess."
Hindes ist für das Projekt Gamedesigner, Freelance-Koordinator, PR-Agentur, Vertrieb und Programmierer in einem, jongliert ständig mehrere Rollen. "Eine der größten Herausforderungen war herauszufinden, wie ich Arbeit anderer Leute umsetzen konnte, während ich sie gleichzeitig mit neuer Arbeit beauftragt habe. Das ist so, als würde man die Gleise bauen, während der Zug losfährt."
All das ist zu viel für eine einzige Person, die obendrein während der Entwicklung Coden lernt, sich aus "mangelnder Disziplin" tagelang "in Experimenten verliert, die zu nichts führen", und sich bis zum Schluss mit den späten Auswirkungen komplexer Ideen wie Kollisionsberechnung auf parabelförmigen Projektil-Flugbahnen herumschlägt.
Diese Gemengelage erschwert auch das Testen. "Das Spiel ist sehr komplex und man muss eine ganze Menge lernen, bevor man die späteren Levels erleben kann. Würde man Leute unvorbereitet in eines der späteren Spielgebiete schicken, wäre das überwältigend." Hindes verlässt sich auf sein Bauchgefühl als Spielejournalist und die Eindrücke, die Sneaky Bastards mit eigens erstellten Demo-Levels auf Messen sammelt.
Release geglückt, Lektionen gelernt
Als letzte große Herausforderung muss sich Hindes dann von seinem Spiel lösen. "Es ist wirklich schwierig, sich zurückzuziehen und etwas aus der Ferne zu betrachten, wenn man jeden Tag so tief drinsteckt." Den einen Moment, in dem sich für ihn alles schlüssig zusammenfügt, gibt es nicht. "Wir hatten nie die Zeit dafür."
2020 erscheint Wildfire nach über fünf Jahren schließlich für PC und Konsolen. Die Kritiken fallen größtenteils positiv aus, bemängeln aber öfters die vernachlässigte Story. Hindes hätte gern mehr Fokus darauf gehabt, aber Cutscenes sind aufwendig. Aus Zeit- und Budgetgründen haben sich Sneaky Bastards am Ende ganz auf die Spielmechaniken konzentriert.
Immerhin: Trotz aller Strapazen produzieren Hindes und seine Mitstreiter*innen nur wenig für die Tonne. Code, Charaktermodelle und Animationen tauchen etwa neu kombiniert mehrfach auf. "Weil wir mit sehr wenig Geld auskommen mussten, wollten wir alles nutzen. Darauf bin ich wahrscheinlich am meisten stolz: wie viel wir in verschiedenen Kontexten wiederverwenden konnten."
Aktuell arbeitet Hindes beim Spielestudio Featherweight Games in Sydney, hat private Projekte zurückgestellt. Ob seine Erfahrungen mit Wildfire auf Immersive Sims generell übertragbar sind, mag er mangels Vergleichspunkten nicht beurteilen. Lehrreich war das Ringen mit den Systemen aber: Für ein eventuelles nächstes Spiel würde er zunächst einen simplen Prototypen bauen, zu viel Komplexität in grundlegenden Systemen würde er sich verkneifen.
Sein Ratschlag für andere Indieentwickler*innen: "Mach es nicht cool und auffällig. Mach es lieber zuerst einfach." Auch für sich selbst hat Hindes ein paar Kriterien auferlegt. "Nichts mit Echtzeit-Interaktionen, die man Frame für Frame lösen muss. Kein Spiel mit Schwerkraft, bei dem man all diese Berechnungen anstellen muss, nur damit Dinge nicht durch den Boden fallen", sagt er. "Wenn ich noch einmal ein Spiel mache, dann eines, das rundenbasiert ist."