Wenn Spiele plötzlich ihren Namen ändern, hat nicht nur das Markenrecht Schuld daran
Die Corona-Pandemie hat viele Länder wieder voll im Griff. In Deutschland rollt die vierte Welle, pro Tag stecken sich aktuell mehrere zehntausend Menschen mit dem Virus an. Trotz eines breiten Impfangebots ist Corona noch lange nicht vorbei. Das hat nicht nur Auswirkungen auf unser alltägliches Leben, auch ein oft übersehener Aspekt der Spieleentwicklung ist davon betroffen. Im Juni 2021 kündigt Ubisoft an, seinen Ego-Shooter Rainbow Six Quarantine umbenennen zu wollen, weil der Untertitel für die Lockdown-erfahrene Kundschaft eine sehr negative Konnotation haben dürfte. Der neue Zusatz "Extraction" soll es jetzt richten.
Black Forest Games aus Offenburg sahen sich mit einem ähnlichen gesellschaftspolitischen Dilemma konfrontiert. Das Studio entstand aus den Trümmern von Spellbound Entertainment, die nach dem gescheiterten Arcania: Gothic 4 ihre Pforten schlossen. Bei den Game Awards 2017 präsentiert Black Forest Games das schneebedeckte Survival-Abenteuer Fade to Silence zum ersten Mal mit einem Trailer. Noch kurz vor der Ausstrahlung trägt das Spiel allerdings einen anderen Namen. "White Silence war drei Jahre in Produktion, bevor wir es überhaupt angekündigt haben", sagt Office Manager Mischa Strecker. "Das ganze Team war auf diesen Namen eingestellt. Es war der Name, der gepasst hat. Für uns war es der perfekte Name für das Spiel."
Wenige Monate zuvor zieht die rassistische "Unite the Right"-Demonstration durch die US-Stadt Charlottesville. Black Lives Matter und andere politische Bewegungen setzen sich öffentlichkeitswirksam gegen die systematische Unterdrückung und Benachteiligung von Minderheiten ein. In diesem Zusammenhang fällt viel häufiger der Satz, dass das Schweigen der Weißen Mehrheitsgesellschaft, die "White Silence", rassistische Strukturen erst ermögliche und erstarken lasse.
Kein Name ist perfekt
Die US-amerikanische PR-Abteilung von Publisher THQ Nordic rät Black Forest in Folge dringend davon ab, White Silence als Namen zu verwenden. Eine derartige Assoziation hätte womöglich einige nicht beabsichtigte Vergleiche provoziert. Ihnen wäre diese mögliche Verbindung nicht aufgefallen, sagt Strecker. "Schlimmstenfalls wären wir da blind ins offene Messer gelaufen." Black Forest muss Webseiten anpassen, Logos verändern, Trailer überarbeiten und schnell einen neuen Namen finden.
Ein anstrengender Prozess, der gerade deswegen viel Kraft kostet, weil sich Entwicklerteams natürlich auf das Spiel selbst fokussieren möchten. "Du hast drei Jahre lang gesagt, dass Spiel heißt so und jetzt sagt plötzlich jeder: Nein, wir müssen es jetzt anders nennen. Und bitte, bitte gewöhnt es euch an. Nennt es beim neuen Namen. Nicht dass es im Interview oder so irgendwie rausrutscht."
Meine Marke, deine Marke
Black Forest Games genießen dabei einen Vorteil: Sie haben schon Erfahrung mit Namensänderungen, wenn auch aus anderen Gründen. Das Stichwort heißt in diesem Fall Markenrecht. Denn gerade einen guten Namen verteidigen Rechteinhaber*innen oft mit Haut und Haar – selbst wenn man in komplett unterschiedlichen Branchen arbeitet.
Als Ubisoft 2019 einen Markenschutzantrag beim US-Patentamt für das Action-Adventure Gods & Monsters anmeldet, wird dieser vom Getränkehersteller Monster Energy angegriffen. Monster nutzt schon seit ein paar Jahren den Videospielkosmos als Werbeplattform für Produktplatzierungen und fürchtet, dass Kund*innen verwirrt sein könnten. Noch bevor es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt, wird aus Gods & Monsters Immortals: Fenyx Rising. Laut Ubisoft fällt die Entscheidung für einen neuen Namen aber aus rein kreativen Gründen.
Bei Black Forest Games läuft es erneut nicht ganz so reibungslos ab. Das Konzept zu einem Actionspiel mit Dieselpunk-Setting unter dem Arbeitstitel Ravensdale hat die Firma noch aus Spellbound-Tagen übernommen, zwei Kickstarter-Kampagnen später wird daraus Dieselstörmers.
Eine Jeans für Dante
2014 will sich Black Forest beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Rechte an der Marke Dieselstörmers sichern. Nach der Markenanmeldung haben andere Firmen drei Monate Zeit, Widerspruch einzulegen. Zur großen Verwunderung aller Mitarbeiter*innen bei Black Forest stört sich das italienische Modeunternehmen Diesel am Namen. "Bei Diesel haben wir immer an den Treibstoff gedacht, an einen generischen Begriff. Es ist ja kein Markenname", erinnert sich Strecker.
Black Forest überzeugt die Argumentation von Diesel damals nicht. Geschäftsführer Andreas Speer lässt per Pressemitteilung verlauten, dass man sich "nicht kleinkriegen lassen" würde. Über ein Jahr später lässt die EUIPO jedoch verlauten, Diesel in allen Punkt Recht geben zu wollen. "Einer der Hauptgründe, warum gegen uns entschieden wurde, war, dass Diesel die Marke Diesel für Videospiele angemeldet hatte", erklärt Strecker.
Tatsächlich sicherte sich das Modehaus eine Markenpräsenz unter anderem für Bier, Fleischwaren und eben digitale Spiele. Ende der 90er-Jahre produzierte Diesel das Musikspiel Digital Adrenalin—55DSL. Zudem gab es in der Vergangenheit Kooperationen mit Capcom für Devil May Cry 2 und 2019 mit Sony für Days Gone.
Aus Diesel wird Rogue
Statt einen ungewissen Rechtsstreit mit Diesel zu starten, akzeptiert Black Forest die Entscheidung. Sechs Monate vor Release müssen erneut Logos, Webseiten und Merchandise-Produkte angepasst werden. "Wir haben immer noch ein paar Hundert Poster und T-Shirts mit Dieselstörmers drauf", sagt Strecker.
Das größere Problem an der Änderung: Dem bis zu diesem Zeitpunkt durch Crowdfunding und Early Access gewonnenen Publikum einen neuen Namen zu vermitteln. "Der Wegfall eines bekannten Markennamens ist ein harter Schlag", sagt Strecker. "Der nicht quantifizierbare Schaden war größer als der tatsächlich finanzielle."
Nach einigen internen Gesprächen fällt die Wahl auf Rogue Stormers als Nachfolgertitel. Auch wenn der generischer klingt als Dieselstörmers, so hat er doch ein paar Vorteile. Das Entwicklerteam integrierte schon vor dem Namenshickhack Roguelike-Elemente wie semi-prozedurale Levelgenerierung und Permadeath und ohne den Umlaut war das Spiel international einfacher zu vermarkten – Glück im Unglück.
Diese anekdotischen Beispiele zeigen, dass Unternehmen oft schon bei minimalen Ähnlichkeiten zu ihrem Produkt nervös werden. Das passiert auch deswegen so häufig, weil Firmen eine Generalisierung ihrer Markennamen verhindern wollen, da diese dann markenschutzrechtlich nicht mehr schützenswert sind.
Kreativität ist das A und O
Aber nicht nur dank Druck von außen kann eine Namensänderung sinnvoll sein. Manchmal ergibt sie sich auch einfach aus der Entwicklung selbst. Bevor das erste Grand Theft Auto den Grundstein für eines der erfolgreichsten Videospielserien aller Zeiten legt, heißt es lange Zeit "Race 'n' Chase". Nachdem das Entwicklerteam allerdings die Option entfernt, als Polizeistreife durch die Straßen zu brettern und das Rammen von Fahrzeugen ein wichtiges Spielelement wird, entscheidet sich DMA Design für einen Namenswechsel.
Torchlight Frontiers ist ursprünglich als MMO-mäßige Erfahrung im Free-to-Play-Gewand geplant. Im Laufe der Entwicklung wird das Actionspiel aber seinen Vorgängern immer ähnlicher. Also streicht Echtra Games den Untertitel und pappt eine drei dahinter, um einen richtigen Nachfolger zu signalisieren.
Zu einem guten Spielenamen gehört also wesentlich mehr als eine griffige Wortgruppe. Er sollte das Spiel möglichst gut widerspiegeln, einzigartig sein, sich womöglich rechtlich schützen lassen und keine ungewollten Assoziationen auslösen. Das von Gothic inspirierte deutsche Rollenspiel Drova – Forsaken Kin hadert noch mit seinem Untertitel und will sich womöglich einen neuen geben. Fans hatten dem Entwicklerteam schon mehrmals gesagt, dass sich "Forsaken Kin" wie "Foreskin" (auf Deutsch: Vorhaut) anhöre. Manche Dinge kann man anscheinend einfach nicht vorausahnen.