Spieleentwicklung im Alleingang wird zugänglicher, aber nicht leichter
Dank Gratis-Software und breiten Publishing-Möglichkeiten kann heute jede*r Spiele im Alleingang entwickeln und verkaufen – theoretisch. Die Praxis kann sowohl ernüchternd sein als auch ungeahnte Chancen bieten.
"Was ich gemacht habe, hätte nicht funktionieren dürfen." Neil Jones ist stolz, aber auch noch etwas verblüfft, dass sein Plan aufgegangen ist. Im Mai hat der US-Amerikaner aus Detroit Aerial_Knight's Never Yield veröffentlicht. Zwei Jahre lang arbeitet er nach Feierabend an seinem Spiel, das hauptsächlich aus Trotz entsteht.
Vorher versucht der gelernte 3D-Artist acht Jahre lang, in der Spieleindustrie Fuß zu fassen, wirkt an kleineren Projekten mit, bewirbt sich auf Stellen und sammelt Absagen. "Irgendwann dachte ich mir: Ich kann zwei oder drei Jahre ein besseres Portfolio erstellen, um vielleicht eingestellt zu werden – oder ich mache einfach ein eigenes Spiel."
Von der spielbaren Visitenkarte zum echten Indie-Titel
Aerial_Knight's Never Yield erinnert an Endless Runner – Handyspiele, in denen die Hauptfigur einen endlosen Hindernisparcours entlang läuft. Allerdings hat sein Spiel ein klares Ende und erzählt eine kleine Geschichte. Außerdem ist es kein Mobile-Titel, sondern ein PC- und Konsolenspiel. Besonders wird es durch die Musik, die Jones' Freund Daniel Wilkins beisteuert, den markanten Artstyle und Jones' Gamertag im Titel.
Dass er mit Never Yield größeren Erfolg haben könnte, merkt Jones Anfang 2020: "Ich habe einen Prototyp auf kleinen Messen in Michigan und Ohio gezeigt. Jemand dort bat mich, an seinem Online-Showcase teilzunehmen. Also habe ich in einer Nacht den ersten Trailer erstellt." Die Reaktionen sind positiv, die ersten Publisher zeigen Interesse. Jones kündigt einen seiner zwei Jobs, um mehr Zeit fürs Spiel zu haben. Weltweite Aufmerksamkeit bekommt er, als Nintendo ihn im April 2021 in einer Indie-World-Präsentation vorstellt.
"Zeit ist die einzige Hürde"
Entstanden ist Never Yield in der Unity-Engine, einer Softwareumgebung für die Spieleentwicklung. Sie ist grundsätzlich kostenlos, erst ab einem gewissen Umsatz werden Gebühren fällig. Bei Problemen hilft eine aktive Online-Community. Unity ist dabei nur eine der bekanntesten unter vielen verfügbaren Engines und Spielebaukästen. "Ich habe kürzlich mit Jugendlichen gesprochen, die gerade einsteigen, ohne Vorwissen", sagt Jones. "Mit YouTube und Tutorials ist Zeit die einzige Hürde."
Für Never Yield steckt er sich kleine Ziele: "Ich wollte etwas ganz Einfaches machen, nur um etwas zu veröffentlichen. Ich wusste nicht einmal, ob es sich verkaufen würde." Wichtiger als kommerzieller Erfolg ist Jones, der Spieleindustrie den Spiegel vorzuhalten. "Das hier konnte ich alleine machen. Stellt euch vor, was ich hätte tun können, wenn die Industrie mir Möglichkeiten gegeben hätte. Die Chance, in einem Team zu wachsen. All die Dinge, die andere Leute einfach so bekommen."
"Andere Leute", das ist die mit überwältigender Mehrheit weiße Spieleindustrie. Jones ist Schwarz und damit Teil der laut einer Umfrage von 2019 mit zwei Prozent kleinsten Gruppe von Entwickler*innen. "Meine These ist, dass es eine Menge anderer Leute wie mich gibt, die hochqualifiziert sind, aber keine Chance bekommen", sagt Jones und nennt beispielhaft die Black Voices in Gaming Freshman Class, einen Zusammenschluss von Schwarzen Entwickler*innen. "Und ich glaube, Never Yield ist der Beweis."
Eine halbe Stunde entscheidet
Tomas Sala musste kein Spiel entwickeln, um in die Spieleindustrie einsteigen zu können. Er brauchte es, um aus dem engen Studio-Korsett auszubrechen. 2001 gründet der Niederländer in Amsterdam ein Studio mit, an das andere Teams Teile ihrer Arbeit outsourcen. Als Anfang der 2010er durchstrukturierte Arbeitsprozesse wie Scrum eingeführt werden, ist Sala frustriert: "Ich habe ADS, bin ein kreativ-chaotischer Typ. Ich hab's gehasst."
Um sich kreativ auszuleben, entwickelt er in seiner Freizeit die erfolgreiche Skyrim-Mod Moonpath to Elsweyr und arbeitet an eigenen Ideen. Eine dieser Ideen ist The Falconeer, ein Fantasy-Flugspiel, in dem die Spieler*innen auf Falken reiten und gegen Piraten kämpfen. Sala steckt für die Verwirklichung des Spiels finanziell und privat zurück, ist aber im Endeffekt glücklicher.
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