Was dieser Saftladen besser macht als andere
Der Saftladen in Berlin ist als Gemeinschaftsbüro für Spieleentwickler*innen erfolgreich, während vergleichbare Angebote scheitern. Warum?
Dass Corona die Arbeitswelt nicht nur während des Lockdowns umgekrempelt hat, dürfte mittlerweile selbst dem*r letzten Chef*in klar geworden sein. War bis 2019 der Gang ins Büro eine Selbstverständlichkeit, ist das Homeoffice durch die Krise zur neuen Norm geworden. Und wer geht schon gerne in den Saftladen, wenn man von zuhause aus viel besser arbeiten kann?
Zum Beispiel die Mitglieder des echten Saftladens in Berlin. Hinter dem hauptstadttypisch halbironischen Namen verbirgt sich eine Bürogemeinschaft aus Indie-Studios und Solo-Entwickler*innen. Seit seiner Gründung im Jahr 2014 dient er als Inkubator für einige der profiliertesten Indiegames aus Deutschland: The Curious Expedition, Through the Darkest of Times, Lonely Mountains Downhill, The Inner World und Death Trash entstanden oder entstehen hier.
"Am Anfang hatten wir zehn Plätze", erinnert sich Riad Djemili von Maschinen-Mensch. "Da kommt auch der Name Saftladen her, weil unser erstes Büro in einer alten Saftpresserei war." Djemilis Firma arbeitet gerade an Updates für The Curios Expedition 2 und hat den Saftladen mitgegründet. Mittlerweile ist das selbsternannte Indie-Game-Kollektiv mehrfach umgezogen, zuletzt vom Kottbusser Tor in die Nähe des Alexanderplatzes – auch, um Platz für die mittlerweile 50 Entwickler*innen zu schaffen, die von dort arbeiten. Zumindest, bis die Coronapandemie sie ins Homeoffice zwang.
Neue Einblicke bekommen, eigene Entscheidungen treffen
"Ich war seit Wochen nicht mehr im Büro", sagt Djemili. "Die Coronasituation hat die Idee eines Treffpunkts kaputt gemacht." Der Austausch untereinander, eine der zentralen Ideen des Saftladens, falle damit weg. Einige seien aber immer noch in den zuletzt meist leeren Coworking Space gekommen.
Einer von ihnen ist Stephan Hövelbrinks. Seit 2015 arbeitet er alleine an dem Action-Rollenspiel Death Trash. Für den Solo-Entwickler war der Saftladen der Ausweg aus der Heimarbeit. "Ich war so lange Tag für Tag im selben Zimmer, da schien das eine sehr gute Abwechslung", sagt er. Der Platz im Spielekollektiv brachte nicht nur Abwechslung, sondern auch konkrete Vorteile – nicht bei der Entwicklung selbst, sondern beim Drumherum.
Mit den Kolleg*innen habe er Erfahrungen mit Publishern, zur Geschäftsentwicklung oder der Bürokratie von Förderanträgen austauschen können. "Man kann einen Einblick in die Arbeit anderer Mitglieder bekommen und daraufhin eigene Entscheidungen treffen", sagt Hövelbrinks. Möglicherweise hatte der Mietschreibtisch eine direkte Auswirkung darauf, dass die Entwicklung von Death Trash vom Medienboard Berlin Brandenburg gefördert und das Spiel ohne einen Publisher erscheinen wird.
Der Saftladen ist ein Erfolgskonzept und hat mittlerweile einen festen Platz in der Berliner Spieleszene. Etwas Ähnliches hatte man sich in Köln erhofft, als im Juni 2018 mit viel Tamtam das Cologne Game Haus mit einem vergleichbaren Konzept startete. Nordrhein-Westfalen wollte damals der führende Standort für die Spieleentwicklung in Deutschland werden. Das Game Haus als Mischung aus Coworking Space und Eventlocation sollte ganz vorne dabei sein – und, in direkter Nachbarschaft zur Gamescom gelegen, sollte der Erfolg für die Mieter*innen zum Greifen nah sein.
Licht aus im Game Haus?
Von dieser Euphorie ist heute wenig übrig. Die Webseite ist schon seit vergangenem Jahr monatelang nicht erreichbar, über die Kanäle in den sozialen Medien kommt seit Beginn der Pandemie nichts mehr und auf mehrfache Presseanfragen gibt es 2021 von Betreiber Johannes Brauckmann keine Antwort. Viele der einst dort ansässigen Studios haben das von der Stadt Köln mitfinanzierte Projekt mittlerweile verlassen. Dabei fanden einige der Beteiligten das Projekt toll.
"Der fachliche Austausch war sehr hilfreich", sagt etwa Utz Stauder. Der Mitgründer von Ludopium ist einer der Entwickler, die mittlerweile nicht mehr im Cologne Game Haus arbeiten. Mit Beginn der Pandemie hat Ludopium den Mietvertrag gekündigt. "Corona war der Impuls, aber Gründe haben sich auch vorher schon angehäuft", so Stauder. Die hohe Monatsmiete von 1.300 Euro für zwei Räume sei ein Grund gewesen - aber auch ein aus seiner Sicht ungenügendes Management. "Sagen wir einfach, dass wir irgendwann als Mieter einfach die Schnauze voll hatten."
"Das macht man nicht mal eben nebenbei"
Ein Selbstläufer war auch der Berliner Saftladen nicht. Riad Djemili und Maschinen-Mensch-Mitgründer Johannes Kristmann verfolgten die Idee über ein Jahr. "Wir sind damals verzweifelt, weil das nicht so richtig geklappt hat", erinnert sich Djemili an die Anfänge des Saftladens. "Wir hatten mehrere Male eine Location, aber in letzter Sekunde sind immer wieder Leute abgesprungen."
Die beiden seien schon bereit gewesen, die Idee aufzugeben – bis sie mit Studio Fizbin in Kontakt kamen. Fizbins Geschäftsführer Alexander Pieper übernimmt mittlerweile die Verwaltung des Saftladens. "Das macht man nicht mal eben nebenbei", sagt Djemili. "Man muss immer wieder gucken, dass man die Mitglieder irgendwie motiviert, indem man Events macht, indem man das Büro so gestaltet, dass es da Flächen gibt, auf denen man sich treffen kann, und so weiter." Das kostet Zeit, Energie und Geld.
Der Anspruch des Saftladens sei nie gewesen, einen kommerziell erfolgreichen Coworking Space zu gründen. "Wir haben das immer zum Selbstkostenpreis gemacht oder sogar Geld damit verloren", sagt Djemili. "Es steht kein Geschäftskonzept dahinter. Wir machen das quasi zum Spaß und weil wir denken, dass es für uns und alle anderen hilfreich ist." Laut seiner Selbstbezeichnung ist der Saftladen deshalb ein Kollektiv. "Das ist unser Selbstverständnis in Bezug darauf, wie transparent wir sind, wie wir die Kosten aufteilen", erklärt Djemili. "Es ist nicht einfach nur ein Ort, wo man anonym rein und raus geht und pro Stunde einen Tisch mietet."
Nicht zu viel und nicht zu wenig ''Spieleentwickler*innen-WG"
Man setze stattdessen auf dauerhafte Verträge und langfristige Mitgliedschaften. "Und wir trinken dann auch mal abends ein Kaltgetränk oder spielen unsere Spiele zusammen." Auch wenn letztendlich Maschinen-Mensch und Studio Fizbin als Hauptmieter das letzte Wort hätten, würden viele Entscheidungen basisdemokratisch getroffen. "Das heißt, wir haben Mitgliederversammlungen, wo wir zum Beispiel über Anschaffungen abstimmen", sagt Djemili.
Mit der richtigen Mischung aus Freundschaft und Verantwortung könnte sich selbst der enttäuschte Game-Haus-Mieter Utz Stauder vorstellen, noch einmal in ein Gemeinschaftsbüro zu ziehen. "So ein Ballungszentrum hat natürlich eine ungemeine Strahlkraft – wenn diese denn auch entsprechend genutzt werden kann", sagt er, auch hinsichtlich der Bedeutung für den Standort. "Im besten Fall geht man sowas eher wie eine WG als einen Bürokomplex an."
Dass "alles etwas chaotisch, quasi wie eine WG" gewesen sei, war hingegen für Massive Miniteam im Januar 2020 einer der Gründe, das Cologne Game Haus zu verlassen. "Wir sind einfach irgendwann rausgewachsen", sagt Geschäftsführer Tim Schroeder. Aber auch er hat noch etwas für die Idee über: "Es war eine gute Option für den Start, unterm Strich waren wir zufrieden."
Eine professionelle Organisation auf der einen und freundschaftliche Vernetzung auf der anderen Seite ist die Balance, die ein Gemeinschaftsbüro bestenfalls halten muss. Dem Cologne Game Haus scheint das nicht gelungen zu sein. Bislang gibt es keine Bürogemeinschaften, die den Erfolg des Saftladens kopieren konnten.
"Es hätte auch schiefgehen können", sagt Djemili rückblickend. Wie sie es geschafft haben, kann er selbst nicht genau erklären. "Das ist vielleicht eine Sache, die wir aus Versehen richtig gemacht haben." Während der Monate der Coronapandemie seien, anders als in Köln, kaum Mieter aus dem Saftladen abgesprungen. "Ich glaube, als ein Beweis dafür, wie sehr, wie stark der Zusammenhalt ist", sagt Djemili.
Bereit für die Rückkehr aus dem Homeoffice - oder doch nicht?
Das Ende der Pandemiemaßnahmen wird diesen Zusammenhalt noch einmal auf die Probe stellen. "Unsere eigene Firma Maschinen-Mensch ist seit einem Jahr im Homeoffice und ich glaube nicht, dass wir komplett zu unserem alten Modell, wo wir alle jeden Tag am gleichen Ort sind, zurückkehren werden."
Das Studio nutzt die räumliche Freiheit zum Positiven. Erstmals habe man jetzt angefangen, Mitarbeiter*innen in der ganzen Welt zu suchen – nicht nur aus Berlin. Wie genau neue Konzepte für den Saftladen aussehen könnten, um sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen, weiß Djemili jetzt noch nicht. "Wahrscheinlich wird die Welt nicht mehr so sein wie vorher und wahrscheinlich wird der neue Saftladen dann wieder anders aussehen als der alte Saftladen", sagt er, "und dann hoffentlich noch besser sein."