Das bekannteste PC-Kartenspiel aller Zeiten hat seinem Erfinder acht Cent eingebracht
In den 1980er Jahren entwickelte ein Praktikant Solitär für Windows. Die analoge Geschichte des Kartenspiels beginnt viele hundert Jahre vorher – und ist weitaus weniger einfach nachvollziehbar.
Die Geschichte von Wes Cherry ist schnell erzählt. Im Sommer 1988 war er bei dem US-Technologieunternehmen Microsoft als Praktikant angestellt. Statt für Prüfungen zu lernen, schrieb in seiner Freizeit den Code für das Kartenspiel Solitär, wie er selbst in einem Reddit-Thread sagt. Der Win-Screen, der mittlerweile zum Meme geworden ist, habe 20 Zeilen dieses Codes eingenommen.
Veröffentlicht wurde das Spiel 1990 als Teil von Windows 3.0. Die Aufgabe der Spieler*innen ist es, gemischte Karten wieder zu sortieren. Dabei werden Stapel genutzt, auf denen die Karten nur mit gleichen ihrer Farbe und in absteigender Reihenfolge abgelegt werden dürfen. Ziel der Veröffentlichung war, den Nutzer*innen das Drag-and-Drop-Prinzip mit der Maus beizubringen, die hier erstmals Tastaturbefehle ablöste. Für Digital Natives klingt das so einfach wie auf zwei Beinen zu gehen. 1990 sah die Welt noch anders aus.
Die Herkunft von Solitär ist bis heute unbekannt
Seit dem war Solitär fester Bestandteil des Betriebssystems – bis Windows 8 im Jahr 2012. Ab Windows 10 war Solitär zwar wieder spielbar, aber nicht vorinstalliert. Als Teil der Microsoft Solitaire Collection steht es Nutzer*innen neben anderen Variationen als optionaler Download zur Verfügung. Doch der digitale Siegeszug des Kartenspiels war schon längst in vollem Gange. Referenzen in Filmen, Serien, Büchern und anderen Medien reihen sich an Interpretationen und Adaptionen des bekannten Stoffs und bis heute kann sich Solitär nicht vom Klischee befreien, Büroangestellte von ihrer Arbeit abzuhalten. Ursprünglich wollte Cherry schon 1988 eine "Boss-Taste" einfügen, um schnell zwischen Solitär und Code wechseln zu können. Microsoft habe ihn aufgefordert, das Feature zu entfernen.
Wieso, wo oder wann die analoge Vorlage für Solitär erfunden wurde, ist kaum belegt. Der Name wurde in der Vergangenheit mit einer ganzen Reihe an Solo-Kartenaktivitäten in Verbindung gebracht, wie zum Beispiel dem Bau von Kartenhäusern. Meistens beschreibt er jedoch das Sortieren von vorher gemischten Karten, wurde hier und da auch kompetitiv gespielt.
Seinen Ursprung hat Solitär möglicherweise in der Ostseeregion, wie David Parlett erklärt. Der Autor des 1992 erschienenen Oxford Dictionary for Card Games vermutet, dass Solitär dort als eine Form der Weissagung genutzt wurde. Einige konkrete Erwähnungen des Spiels würden sich im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland oder Russland finden. Andere Quellen vermuten die Herkunft des Spiels, das hier und da auch Klondike oder Patience genannt wird, im Frankreich unter Napoleons Herrschaft.
Zur Langlebigkeit von Solitär hat Wes Cherry zweifelsfrei beigetragen. Das Strong National Museum hat Microsoft Solitaire 2019 in seine World Video Game Hall of Fame aufgenommen. Anlässlich dessen veröffentlichte Microsoft eine Handvoll Statistiken: Das Spiel wurde in 65 Sprachen übersetzt und wird sogar in der Antarktis gespielt. Monatlich zählt Microsoft 35 Millionen Spielende, die täglich mehr als 100 Millionen Partien spielen. Zum Vergleich: Minecraft zählt aktuell mit steigender Tendenz 176 Millionen aktive Spieler*innen, erfolgreiche Titel wie The Legend of Zelda: Breath Of The Wild für die Switch und The Witcher 3 haben sich 29 respektive 40 Millionen Mal verkauft.
Ein Spiel wächst über seine Grenzen hinaus
Erklärungsversuche für die Beliebtheit des Spiels gibt es viele. Als Teil des verbreitetsten Desktop-Betriebssystems kann es eine einfach zugängliche Ablenkung vom (Arbeits-)Alltag sein. In einem Interview mit Insider erläutert Professor Mark Griffith, dass viele Menschen Solitär als Coping-Mechanismus nutzen würden – ein Weg, um mit Stress umzugehen. Dazu trage die geringe Spielzeit bei sowie ein schnelles Belohnungsgefühl.
Gerade diese Einfachheit lädt immer mehr Entwickler*innen dazu ein, neue Systeme zu implementieren und ihre ganz eigene Version zu erschaffen. Sie verbinden die Mechanik des systematischen Kartenlegens mit neuen Funktionen oder sogar einer Geschichte. Die Zachtronics Solitaire Collection bietet acht Variationen, die zuvor in anderen Spielen des US-amerikanischen Entwicklers auftauchten. NERTS ist ein kompetitiver Solitär-Multiplayer für bis zu sechs Spieler*innen. Im bisher nur angekündigten Soulitaire wird das Kartenlegen wieder zum Wahrsagen benutzt. Deck 'Em ist ein Solitär-Boxspiel und in The Solitaire Conspiracy werden mit Karten taktische Kämpfe ausgetragen, um die Welt zu retten. Insgesamt werden allein bei Steam unter dem Tag "Solitär" aktuell 827 Spiele gelistet.
Wes Cherry wurde für seine Arbeit an der PC-Version von Solitär nie bezahlt. Diese Problematik ändert sich auch nicht dadurch, dass man ihm das von Anfang an gesagt hätte. Im Laufe der Zeit hätten ihm Personen hier und da aus Spaß einen Cent geschenkt, sagt er selbst. So käme er mittlerweile auf acht Cent. Heute programmiert er sporadisch die Steuerung der Maschinen seiner Cider-Manufaktur und erzählt stolz, dass sein Sohn einen Minecraft-Klon in der kinderfreundlichen Programmierumgebung Scratch baut. Vielleicht programmiert er bald auch das nächste Solitär.