Trans Entwickler*innen wollen mit ihren Spielen Freude statt Schmerz verbreiten
Acht Prozent aller Spieleentwickler*innen sind trans, nicht-binär oder genderqueer. Diese Zahl stammt aus einer Umfrage aus dem Jahr 2021. In diesem Jahr wurde viel über ihre Identitäten geredet. Hinter dieser abstrakten Zahl stecken Menschen – Spieleentwickler*innen wie Mara Mehlitz, Isaac Baltsch und Jannik Boysen, die ihre Perspektiven in diesem Artikel teilen.
Im Diskurs der letzten Wochen ging es dabei eher um Gamer*innen und was sie opfern müssen, um trans Identitäten zu respektieren – und wenig um die Menschen, die sie leben. Dieser Diskurs schafft wenig Verständnis, ist aber ein notwendiges Übel, denn er macht Schmerz sichtbar. Manchmal Schmerz, den man einfach ignorieren will, um nicht selbst darunter zu leiden. Manchmal Schmerz, den man von außen nicht verstehen kann, und deshalb im schlimmsten Fall sogar Betroffenen abspricht.
Etwas viel schöneres, das mehr Sichtbarkeit verdient, sind die trans Menschen wie Mara Mehlitz, Isaac Baltsch und Jannik Boysen, die an Spielen arbeiten, ihre Perspektive mit der Welt teilen oder schlicht Spaß an Videospiel-Entwicklung haben – und mehr authentische Repräsentation schaffen, die wir selbst erzählen. Repräsentation, die zeigt, dass die Welt mit mehr Diversität schöner ist.
Es ist egal, dass eine Figur ist, wer sie ist
"Ein guter Weg für Repräsentation ist, wenn Handlung, Geschichte oder Spielmechaniken nicht davon abhängen, dass die Figuren sind, was sie sind", sagt Mara Mehlitz. Sie arbeitet seit 2018 als Produzentin beim Stuttgarter Spielestudio Chasing Carrots. Ob eine Figur trans oder cis oder nicht-binär ist, sollte für das Spiel keine Rolle spielen.
"Das erste Mal, dass ich eine solche Darstellung erlebt habe, war bei Claire in Cyberpunk 2077", sagt Mehlitz. Als Spielerin verfolgt sie gebannt Claires Geschichte, wie diese von einer Barkeeperin zu einer Freundin wird. "Und irgendwann erfahren wir ganz beiläufig, dass Claire tatsächlich trans ist. Keine große Sache."
Ein Appell an alle, die diesen Artikel vielleicht niemals lesen werden
Was gibt es zu verlieren, wenn mehr Stimmen der Platz gegeben wird, sich zu entfalten? Niemand möchte harmlose Dinge abschaffen, die Leuten Freude machen. In guten Geschichten und auch in guten Videospielen gehören eine Vielzahl von Charakteren und Konflikten dazu. Cis sowie trans, alle Identitäten sollten in unseren Medien die Chance haben, "normal" zu sein.
In unseren Geschichten können wir von mehr Welten erzählen als der, in der wir uns befinden. Welten, die uns manchmal zu brutalen Walküren werden lassen, die gegen die Horden der Unterwelt im Takt von Metal kämpfen. Manchmal zu sanftmütigen Blumenhändlern, die sich hingebungsvoll um Pflanzen kümmern. Und wieder andere Male als eine nicht binäre Figur auf einer magischen Reise durch eine Wüstenwelt, in der dey nach Antworten sucht, die keiner Frage bedürfen.
Claire ist nicht "die eine Trans-Frau", sondern "die geniale Ingenieurin und befreundete Barkeeperin". Mehlitz denkt an Claires Liebe zu ihrem verstorbenen Mann. Das gefällt ihr, "denn das Transgender-Sein ist nur ein Teil von ihr und eine kleine Info für den Spieler. Aber wir lernen, dass dieser Charakter genauso ist wie jeder andere. Wir könnten den Transgender-Teil weglassen und es hätte sich nicht viel geändert."
Spiele können etwas bewirken, weil sie Spieler*innen nicht nur etwas zeigen, sondern etwas aktiv erleben lassen. Spiele können ein Raum sein, der es uns erlaubt, zu experimentieren und die Perspektive zu wechseln. Gelerntes in neuen Kontext zu setzen und mit Konventionen wortwörtlich zu spielen.
Die Spieleindustrie entwickelt sich weiter
Inzwischen sind die Zielgruppen von Videospielen so zahlreich geworden, dass es sowohl in Indie-Games als auch in AAA-Produktionen immer mehr Beispiele für Diversität gibt – wie Claire in Cyberpunk 2077. Für Entwickler*innen ist das eine Chance: Weg von dominanten Archetypen, hin zu neuen Charakteren, die mehr Menschen ansprechen.
"Ja, die Spieleindustrie entwickelt sich stetig weiter", sagt Isaac Baltsch, und fragt: "Reicht es nicht, diesen Prozess einfach weiterlaufen zu lassen? Was bringt es, sich für Repräsentation in Videospielen einzusetzen, und wer profitiert eigentlich davon?" Isaac Baltsch ist selbst Game Designer bei Buntspecht in Köln. Für ihn ist das keine reine Frage nach der absatzstärksten Zielgruppe
"Wenn ich mich selbst frage, was für Charaktere in Videospielen mich durch ihre Identität als trans*Mensch geprägt haben, fallen mir nur wenige Beispiele ein", sagt er. "Allen voran Krem aus Dragon Age: Inquisition, der erste trans* Charakter, der mir jemals in einem Spiel begegnet ist".
Krems Dialoge drehen sich ausschließlich um seine Identität als trans*Mensch, "in einer Weise, die mich an viele unangenehme Dialoge meines eigenen Lebens erinnert hat", sagt Isaac. "Dürfen wir mehr sein als unsere Identität, mehr als Marketingentscheidungen darüber, ob trans*Charaktere für Spieler verkraftbar sind? Ich finde, die Antwort sollte immer, aber vor allem in Zukunft ja sein."
Die Frage, was gute Repräsentation ist, wird selbst innerhalb der betroffenen Communitys mit verschiedenen Standpunkten diskutiert. Einerseits bietet Cyberpunk 2077 ein Beispiel für gelungene Repräsentation – andererseits wurde das Spiel schon vor der Veröffentlichung kritisiert.
Kritik und Diskussion kann zu guten Ergebnissen führen, wenn sie mit dem Ziel geführt wird, etwas besser zu machen, als es vorher war. Und darum sollte es letztlich für die gesamte Gaming-Community gehen, egal ob Entwickler*innen oder Spielende, dass Dinge besser werden können.
Repräsentation ist mehr als Präsentation
"In der letzten Zeit spüre ich sehr, wie im Wort Repräsentation der Teil Präsentation betont wird", sagt Jannik Boysen. "Identitäten sind der primäre Aufhänger einer Geschichte, endlich fühlen sich viele von uns gesehen, und das ist auch super."
"Das erste Mal, als ich ein kommerziell erfolgreiches Spiel mit einer trans*-Protagonistin gespielt habe, war ich hin und weg", sagt Boysen. "Doch mit der Zeit sehe ich viel mehr den Wert in Geschichten, in denen trans-Personen einfach nur existieren. Ganz normal eben. So wie ich!"
Jannik will diese Geschichten in eigenen Spielen deshalb anders erzählen. "Ich lege in meinen Spielen auch keinen besonderen Wert darauf, eine queere Geschichte zu erzählen oder Charaktere als trans* zu betiteln, weil mir das im Cast noch fehlt – sie sind es einfach." Boysen ist wichtig, dass Spieler*innen sein und spielen können, wie sie möchten.
Eine der wichtigsten Fragen beim Gamedesign: "Ist es wichtig, dass mein Spiel so gespielt wird, wie ich es möchte? Oder möchte ich es den Spielerinnen überlassen, sich durch ihr Spielen auszudrücken?" Die Antwort auf diese Fragen sei oft, "an einer kleinen Schraube zu drehen, um Freiheit zu ermöglichen. Das Stichwort ist: Erlauben."
Videospiele verdienen mehr Repräsentation – unabhängig von Labels
Videospiele haben die Freiheit, mehr zu erlauben. Mehr Tiefe, mehr Introspektion, mehr tolle Spiele, die möglichst vielen Menschen Spaß machen – unabhängig von Labels, die wir hoffentlich bald hinter uns lassen. Denn Repräsentation funktioniert dann am besten, wenn wir uns in Charakteren wiederfinden, die unsere Menschlichkeit widerspiegeln. Charaktere, bei denen wir uns gesehen und verstanden fühlen.
Starke weiblich gelesene Charaktere, die starken männlich gelesenen Charakteren in nichts nachstehen. Bösewichte und Helden, die über die binären Merkmale von Geschlecht hinauswachsen und Spieler mitreißen. Trans Charaktere, die so toll sind wie die trans Menschen, die uns jeden Tag begegnen. Cis Charaktere die uns in eine Welt begleiten, in der wir keine Angst mehr haben müssen, falsch zu sein.
Mache Spieler*innen haben das Gefühl, Spiele würden sich verändern. Dabei sind trans Spieler*innen und Spielemacher*innen längst hier. "Es braucht gar nicht sein, dass queere Personen ihre Identität in ihren Spielen thematisieren müssen", sagt Boysen. "Es reicht, gehört und einbezogen zu werden. Der Rest passiert von allein."
Wer von mehr und besserer Repräsentation profitiert? "Die Antwort ist, zumindest meiner Meinung nach, ganz einfach", sagt Isaac Baltsch: "Die Generationen nach uns. Die jungen trans*Menschen, die die Videospiele spielen, die wir jetzt gerade entwickeln." Sie "verdienen auch in Videospielen diverse, authentische und vor allem bestätigende Repräsentation", sagt er. Repräsentation, die mehr sein darf als ein Fragenkatalog.
"Wann immer wir unseren Spielen mehr Repräsentation hinzufügen, sollten wir versuchen, daran zu denken, wie sich betroffene Menschen fühlen", sagt Mara Mehlitz. "Als was sie spielen wollen und wie sie gesehen wollen werden." Videospiele können aufklären, aber auch Akzeptanz schaffen, glaubt sie. "Wann immer ich also die Möglichkeit habe, etwas dazu beizutragen, tue ich das."