Diese Entwickler*innen machen Spiele für eine Zielgruppe von 20.000 Menschen
Jedes Jahr werden mehr Spiele veröffentlicht, als jemals irgendwer spielen wird. Ausgerechnet das winzige Publikum der Mini-Konsole Playdate kann diesen Leerlauf verhindern – wenn die Community am Ball bleibt.
Allein 2021 erschienen auf Steam, dem beliebtesten Online-Spiele-Store für PCs, fast 1.000 Titel pro Monat. Obwohl bis zu 30 Millionenen Spielende die App zu Hochzeiten gleichzeitig geöffnet haben, fällt es Indie-Entwickler*innen Aufgrund des enormen Überangebots an Spielen immer schwerer, diese auch zu erreichen. Eine mögliche Lösung für mehr Aufmerksamkeit könnte ausgerechnet die Nischen-Plattform Playdate sein.
Die knallgelbe, streng limitierte Hosentaschenkonsole hat gerade mal ein D-Pad, zwei Buttons und eine Kurbel als Eingabemöglichkeiten, das monochrome 1-Bit-LC-Display hat eine niedrigere Auflösung als das billigste Smartphone, und die 24 im Preis von umgerechnet 280 Euro verfügbaren Spiele sind eher Spielereien als Gameplay-Offenbarungen. Trotzdem: Die erste Charge von 20.000 Stück ist innerhalb von 20 Minuten ausverkauft, wer jetzt bestellt, bekommt sein Gerät erst 2023. Diese künstliche Verknappung mag Spieler*innen vor den Kopf stoßen, kommt aber Spielearbeiter*innen zugute.
Vom Homebrew-Spiel zum lukrativen Hobby
"Bisher waren ein paar Dutzend Spieler*innen, die ein Spiel in einem Game Jam gespielt oder ein Homebrew-Spiel auf ihrer Konsole installiert haben, schon ein Erfolg für mich", sagt Rebecca König. Die Hobby-Entwicklerin hat mittlerweile schon drei Playdate-Titel über Itch.io veröffentlicht. Da kein eigener Playdate-Store geplant ist, können sich Konsolenbesitzer*innen die entsprechende Spieldatei dort herunterladen und per Sideloading über das WLAN-Netz auf ihr Playdate laden.
Laut König zahlt sich dieser simple und effiziente Vertriebsweg schon jetzt aus. Gegen die dutzenden Spieler*innen von zuvor sind "sind fast 800 verkaufte Spiele innerhalb von vier Monaten auf dem Playdate schon eine andere Größenordnung." Dabei hat sie nicht ein Erfolgsversprechen, sondern die Entwicklungsfreundlichkeit und die Vorliebe für Handheld-Konsolen auf das Playdate gebracht, auch wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht mit Spielen bestreiten muss und sich dementsprechend mehr Zeit lassen kann.
Ähnlich verhält es sich bei dem Software-Entwickler "SquidGodDev" Atsu Suzuki, der erst 2020 mit der Spieleentwicklung begonnen und sich schon früh auf die Hosentaschenkonsole festgelegt hat. "Ich habe es geschafft, ziemlich früh eines zu ergattern, und so kam mir der Gedanke, dass es wirklich cool wäre, meinen Kanal auf das Playdate auszurichten", so Suzuki. Auf seinem YouTube-Kanal beschäftigt er sich seit Februar 2022 ausschließlich mit Playdate-Tutorials und -Devlogs. "Ich hatte das Gefühl, dass ich in einer einzigartigen Position war und jetzt macht es mehr Spaß, Spiele für das Playdate zu entwickeln, als ich es mir je hätte vorstellen können."
Spieleentwicklung ohne Vorkenntnisse
Neben dem Vertrieb ist auch die tatsächliche Entwicklung leicht zugänglich. Das Entwicklungs-Tool Pulp läuft direkt im Browser und erlaubt es, in kürzester Zeit eigene Games zusammenzuklicken. Wer bereits Erfahrung mit den gängigen Programmiersprachen Lua oder C hat, kann mit dem Gratis-Software-Development-Kit komplexere Titel entwickeln, vom Minecraft-Klon bis zum Dungeon-Crawling-Roguelite.
Die Entwicklung für eine vergleichsweise rudimentäre Plattform wie das Playdate haben laut Atsu Suzuki und Rebecca König Vor- und Nachteile. So müsse man deutlich stärker auf die Performance achten, bräuchte aber auch keine unterschiedlichen Displaygrößen und Hardwarekonfigurationen zu beachten.
Rachel Singh hat als Moosadee eine Minigame-Sammlung für das Playdate veröffentlicht und sieht die Konsole als ideales Sprungbrett für junge Entwickler*innen. "Wenn du schon einmal Spiele programmiert hast, ist die Arbeit mit dem SDK und Lua ziemlich einfach, und es gibt eine Menge zusätzlicher Funktionen, die die Entwicklung viel angenehmer machen", sagt Singh. Für Singh ist das Playdate nicht nur eine Alternative zu PC-, sondern auch zu Handyspielen.
Auf mobilen Plattformen ist das Sichtbarkeitsproblem noch gravierender. Laut Daten von 42Matters erschienen alleine in den vergangenen drei Monaten im Schnitt über 2.000 Android-Apps und rund 1.000 iOS-Apps pro Tag. "Wenn man etwas auf Android veröffentlicht, gibt es so viele Angebote, dass es schwer ist, auf sich aufmerksam zu machen", sagt Singh. "Frühzeitig mit einer Plattform zu beginnen, kann ein guter Weg sein, um Aufmerksamkeit zu bekommen, die man sonst vielleicht nicht hätte."
Für Entwickler*innen scheint das Playdate also fast nur Vorteile zu bieten. Der niedrigschwellige Einstieg dank Gratis-Tools, einer aktiven und hilfsbereiten Community und ausführlicher Dokumentation, der Unabhängigkeit von einem Shop-Anbieter sowie die fokussierte Aufmerksamkeit von 20.000 Konsolenbesitzer*innen können dazu beitragen, mit relativ wenig Startkapital einen Fuß in die Tür zu bekommen. Aber kann Panic, der Publisher hinter dem Playdate, wirklich noch mehr Spielearbeiter*innen die Chance auf mehr nachhaltige Aufmerksamkeit bieten oder bleibt das Playdate ein Kuriosum für Hipster mit zu viel Geld?
Die Zukunft des Playdate hängt von seiner Community ab
Singh jedenfalls ist optimistisch. "Ich denke, es kann sich zu einem ziemlich coolen Hobby-System entwickeln, ähnlich wie die Leute den Pico-8 verwenden", so Singh. "Die relativ niedrige Einstiegshürde für die Entwicklung von Spielen kann es zu einem netten pädagogischen Werkzeug oder einem guten Zeitvertreib machen, den man leicht mitnehmen kann."
Auch Suzuki ist der Meinung, dass der Mini-Konsole eine blühende Zukunft bevorsteht. "Solange es leidenschaftliche Entwickler*innen und gute Spiele gibt, wird die Playdate-Community florieren", sagt er. "Viele Anfänger*innen haben großes Interesse daran zu lernen, wie man Spiele entwickelt." Außerdem vertraue er darauf, dass Panic Playdate weiterhin unterstützen wird, da sie kein neues Unternehmen seien. Ihre FTP-App Transmit entwickelt Panic seit über 20 Jahren weiter. "Mit all diesen Faktoren sehe ich keinen Grund, warum das Interesse abflauen sollte."
König hingegen ist etwas vorsichtiger in ihrer Prognose und sieht vor allem die Community in der Pflicht, das Interesse aufrecht zu erhalten, wenn die von Panic mitgelieferten 24 Spiele beginnen, ihren Reiz zu verlieren. "Die Community ist aktuell recht aktiv, was auch an der Unterstützung von Panic liegt, die fleißig das SDK verbessern, wenn es irgendwo hakt", so die Hobby-Entwicklerin. "Wenn wir das Momentum beibehalten können, dann wird das Publikum sicher auch noch länger bleiben."
12.000 Veröffentlichungen im Jahr und 30 Millionen Spielende gleichzeitig wie auf Steam wird das Playdate niemals erreichen. Aber dank seines einzigartigen Designs und seiner offenen Herangehensweise an Entwicklung und Vertrieb könnte die Konsole zu einer echten Alternative für aufstrebende Indie-Entwickler*innen werden und auch kleine, persönliche Projekte in der umkämpften Aufmerksamkeitsökonomie sichtbar machen.