Es gibt keinen Grund, wieso Musik in Mobile Games nicht gut sein sollte
Manche Spiele-Soundtracks sind legendär – und gehören meist zu AAA-Titeln. Dabei steckt hinter der Musik für Mobile Games ähnlich viel Arbeit.
Am Smartphone zu spielen, galt lange nicht als echtes Gaming. Auch heute darf noch infrage gestellt werden, ob Mobile Gaming den gleichen Stellenwert hat wie das Spielen am PC oder auf Konsolen. Dabei ist es der mit Abstand größte Teilmarkt der deutschen und auch der internationalen Spielebranche, sowohl was den Umsatz als auch die Zahl der Spieler*innen betrifft.
Im letzten Jahr spielten 1,9 Milliarden Menschen weltweit auf mobilen Endgeräten, dieses Jahr werden es Prognosen zufolge mehr als 2 Milliarden sein. In Bezug auf Deutschland nennt der Branchenverband Game für 2021 23,7 Millionen Spieler*innen an Smartphones oder Tablets. Im darauffolgenden Jahr wurde sogar ein noch höherer Wert von 26,5 Millionen verzeichnet, wie Game auf Nachfrage bestätigt. Der Umsatz von Mobile Games beläuft sich weltweit auf über 89 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2023.
Auch hinter diesem lukrativen Markt stecken kreative Prozesse. Menschen wie Hans-Arno Wegner und Salla Hakkola arbeiten zum Beispiel an der Musik in Mobile Games. Eine Nische in der Nische, die international zwar durch Auszeichnungen Anerkennung findet, bei Spieler*innen aber kaum. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 spielen 70 Prozent der Befragten Mobile Games während sie fernsehen. In diesem Fall wird der Ton auf dem zweiten Bildschirm nicht unbedingt benötigt. Doch "kein Sound ist auch keine Option", sagt Wegner.
"Die Musik gehört zum Gesamtkunstwerk"
Hans-Arno Wegner arbeitet als Gamedesigner bei Innogames. "Zu einem vollständigen Produkt gehört die Musik auf jeden Fall dazu", erklärt er im Interview. "Musik ist Teil der Persönlichkeit des Spiels". Durch sie werden Stimmungen oder das Setting des Spiels kommuniziert. Laut Wegner dürfe sie dabei aber nicht zu komplex oder interessant sein: "Das ist nicht die Aufgabe von Musik in Spielen. Sie soll an Dinge erinnern. Deswegen ist nicht das besondere Musikstück gewollt, sondern eher solche, die Emotionen bei uns auslösen."
Das macht er am Beispiel von Lost Survivors deutlich. Die Musik vermittle, dass man sich auf einer einsamen Insel befinde, sie zeige das Exotische und sei gleichzeitig nicht aufgeregt, suggeriere also keine Bedrohung für die Spieler*in. Sobald die Spieler*in in See steche, wechsle die Musik, zeige, dass ein Abenteuer bevorstehe und bilde absichtlich einen Kontrast zur ruhigen Insel.
Während Musik also eine eindeutige Funktion erfüllt, dürfe sie dennoch nicht zu aufdringlich sein. "Sie darf sich nicht künstlerisch in den Vordergrund stellen. So gesehen ist nicht die Musik die Kunst hieran, sondern das Zusammenstellen", so Wegner. Zumindest in den Spielen von Innogames soll die Musik keine Höhepunkte haben, immerhin wird sie mitunter stundenlang abgespielt. Außerdem müsse sie mit den Sounds des Spiels harmonieren, die "viel wichtiger für den Spieler sind, weil sie Feedback geben", so Wegner. Musik finde im Hintergrund statt und unterstütze die restlichen Elemente des Spiels. "Die Musik gehört zum Gesamtkunstwerk", resümiert er.
Wie kommt die Musik ins Spiel?
All das haben die Entwickler*innen von Innogames im Hinterkopf, wenn es darum geht, neue Musik für ein neues Spiel in Auftrag zu geben. Das Studio hat keine Sounddesigner im Haus, sondern sucht extern nach Partnern mit dem passenden Stil. "Es ist besser, das outzusourcen, wo man qualifizierte Leute hat, die die Arbeit auf den Punkt bringen", so Wegner.
Firmen, die gemeinsame oder alleinige Audio-Entwicklung anbieten, sind zum Beispiel Principle Sound, die Audio für ein Marvel-Mobile-Game oder Pathfinder: Kingmaker produziert haben, oder Demute, die unter anderem an Stellaris oder Gangs Of Sherwood mitgearbeitet haben.
Wird neue Musik in Auftrag gegeben, schicken die Entwickler*innen Informationen zum Thema und Setting des Spiels an das Studio, das die Musik kreiert. Dazu verschicken sie auch eine Reihe von Referenztiteln zur Inspiration. Wegner erklärt, dass diese dabei helfen, eine gemeinsame Richtung zu finden. Das Entwicklerteam gebe Feedback, das Studio komponiere und so geht es eine Weile hin und her. "Solche Prozesse können dauern, aber das Spiel entwickelt sich ja parallel. Es ist gut, wenn man sich da Zeit lässt", erzählt Wegner.
Das Entwicklungsteam erstelle zusätzlich ein Video, um den Komponist*innen eine Vorstellung vom fertigen Spiel zu liefern. Das Studio wiederum vertone dieses, um einen besseren Eindruck davon zu vermitteln, wie Spielidee und Musik letztendlich zusammen wirken. So habe man "iterativ auf den Moment hingearbeitet, in dem man sagt: Wenn so unser Spiel klingt, dann ist es gut."
Mehr als nur 8-Bit
Auf der anderen Seite des Entstehungsprozesses von Musik in Mobile Games steht Salla Hakkola. Die Komponistin studierte Musik und begann nach einem Austauschjahr in Mexiko selbst zu komponieren. Mit ihrem Bruder und zwei Freunden gründete sie später eine Produktionsfirma, die 2011 von Rovio gekauft wurde – dem Studio, das vor allem für Angry Birds bekannt ist und einer ihrer ersten Kunden war. Heute ist sie selbstständig und macht unter anderem Musik für Clash of Clans und Merge Mansion.
Sie beschreibt ihren Ansatz als "gefühlsorientiert": Die Frage sei nicht, welchen Stil die Entwickler*innen wollen, sondern welches Gefühl hervorgerufen werden soll. Deshalb können ausführliche Hintergrundgeschichten zu Charakteren, die es nie ins Spiel schaffen, wichtig für den kreativen Prozess ihrer Musik sein. All das beziehe sie mit ein. Es sei also wichtig, schon früh Komponist*innen hinzuzuziehen.
Für einen kompletten Soundtrack brauche Hakkola mindestens drei Monate, manchmal sogar ein Jahr. Abhängig vom Budget verwendet sie dafür so viele Instrumente wie möglich. Zu ihrem Team zählen die Musiker*innen, aber auch Assistent*innen und Techniker*innen, die beim Arrangieren und Aufnehmen des Stücks helfen. So käme sie mitunter auf ein Team von 15 Personen, das an einem Soundtrack arbeitet.
Den Grund für die stiefmütterliche Behandlung von Musik in Mobile Games vermutet sie in der Entwicklung des Mediums. Vor dem Smartphone sei Musik in Mobile Games schlicht nicht möglich gewesen. Technische Einschränkungen bei bestimmten Sounds würden als eigener Stil wahrgenommen. Heute, so Hakkola, sprechen Menschen von Spielmusik und denken an 8-Bit-Musik.
"Der letzte sichere Hafen für schlechte Musik"
Dieses historische Missverständnis, wie sie es nennt, habe dazu geführt, dass Mobile Games "der letzte sichere Hafen für schlechte Musik" seien. Viele Spielende würden gar nicht erwarten, dass Mobile Games gute Musik haben. Darauf hinzuweisen sei Aufgabe des Spiels, sagt Hakkola: "Die Leute gehen davon aus, dass Spielende so etwas von alleine finden. Aber nein: Wenn du willst, dass Leute es finden, musst du es hinausschreien."
Mehr Arbeit in die Musik zu stecken, eine Playlist zu veröffentlichen und die Musik so sichtbarer (oder hörbarer) zu machen, erhöhe auch die Sichtbarkeit der Marke selbst. "Es gibt keinen Grund, wieso Musik in Mobile Games nicht gut sein sollte", sagt sie weiter und fordert mehr Mut und Innovation. "Es braucht zum Beispiel nicht viel, um adaptive Musik zu machen" – Musik, die sich an das Spielgeschehen anpasst und für mehr Variation im Soundtrack sorge.
Mobile Games würden immer wieder um Features und Events ergänzt, was neue Möglichkeiten für Musik bedeute. "Kollaborationen, Features, lizenzierte Musik – die Vorstellungskraft ist das Limit", so Hakkola. Ihrer Meinung nach könnte die Zukunft von Musik in Mobile Games viele neue Sounds bereithalten und viel glanzvoller sein als bisher.