Kostenlose Fan-Server halten Ultima Online und Everquest am Leben
Ein Hauptmerkmal von Online-Rollenspielen ist der regelmäßige Nachschub an neuen Inhalten. Von Fans betriebene Classic-Server setzen auf Nostalgie statt Neuheiten – und beeinflussen damit längst auch den Mainstream.
Freeshards, also inoffizielle, kostenlose Spielwelten für kommerzielle Online-Rollenspiele, sind seit über 20 Jahren fester Bestandteil des Genres. Dabei verstoßen sie eigentlich gegen die Lizenzbedingungen der Originale. Dennoch werden die Fan-Server geduldet, Unterlassungserklärungen sind selten. Zumindest bis zum 10. April 2016.
An diesem Tag erhält der kostenlose World-of-Warcraft-Server Nostalrius eine ebensolche Unterlassungserklärung von Blizzard Entertainment. Auf dem Freeshard konnten Spieler*innen das Online-Rollenspiel auf dem Stand von 2006 erleben, ohne grafische Verbesserungen, Inhalte und Komfortfunktionen späterer Updates. Fans des Servers sammeln 280.000 Unterschriften und wollen Blizzard damit überzeugen, den Server weiter bestehen zu lassen – erfolglos. Das Studio hat andere Pläne und kündigt kurz darauf seine eigenen Classic-Server an. Heute sind knapp 226.000 Spieler*innen auf den 2019 gestarteten Servern aktiv. Im Vergleich zu den Zahlen der regulären Server ist das wenig. Aber es zeigt, dass auch vermeintlich verstaubte Spielkonzepte heute noch ihr, wenn auch kleineres, Publikum haben.
Klassisch, aber nicht klassisch genug
Das merkt auch Nilbog. Der IT-Spezialist betreibt zusammen mit seinem 15-köpfigen Team seit 2009 Project 1999, einen Freeshard für das beliebte Online-Spiel Everquest. Auf die Idee dazu kommt er, als er auf EQEmulator stößt. Wer sich in dem Forum einen Account anlegt und ein bisschen in der Konfigurationsdatei herumhantiert, kann sich einem Everquest-Client auf inoffiziellen Servern einloggen. Diese Server haben allerdings nicht viel mit dem ursprünglichen, unverfälschten Spielerlebnis von damals zu tun. "Ich fragte mich also, wie schwer es wohl wäre, einen eigenen Server zu starten", so Nilbog. Sein Ziel: Die Anfangstage von Everquest wieder aufleben lassen.
Je schwieriger etwas ist, desto größer fällt die Belohnung aus.
Rückblickend läuft der Start von Project 1999 besser als erwartet. Zuerst betreibt Nilbog den Freeshard auf seinem eigenen Computer. Aber das Interesse ist trotz überschaubarem Marketingaufwand so groß, dass seine Internetverbindung unter den Einwahlversuchen hunderter Spieler*innen zusammenbricht. Er holt also einen alten Everquest-Mitspieler und den Webmaster von EQEmulator mit ins Team, der Server bekommt ein professionelles Hosting-Paket verpasst und geht im Oktober 2009 nach der ersten Testphase offiziell online.
Über die nächsten Jahre probiert sich Project 1999 aus und experimentiert mit verschiedenen Gameplay-Elementen. Pünktlich zum 20-Jährigen von Everquest im Oktober 2019 startet ihr Magnum Opus. Der "Green Server" hält sich strikt an die historische Update-Reihenfolge der ersten beiden Jahre von Everquest, nur in größeren Zeitabständen. 2023 soll das letzte Update eingespielt und später der Server zurückgesetzt werden, damit alles wieder von vorne losgehen kann. Finanziert wird das Projekt laut Nilbog größtenteils durch Spenden der Spieler*innen, bleibt aber auch eine Nische in der Nische: 2020 spielen noch knapp 82.000 Menschen Everquest in seiner aktuellen Form, Project 1999 kam nie auf mehr als 5.000 gleichzeitige Spieler*innen.
Friedliche Koexistenz statt Unterlassungserklärungen
Vielleicht gerade weil Project 1999 in der Nische existiert, drückt Everquest-Entwickler Daybreak Studios nicht nur ein Auge zu, sondern gibt dem Team aus Freiwilligen 2015 sogar offiziell seinen Segen. Das ist in der Geschichte der Freeshards einzigartig. Im Gespräch mit Rock Paper Shotgun erklärt Executive Producer Holly Longdale die Idee dahinter. "Was sie tun, schadet uns finanziell nicht wirklich”, so Longdale. "Sie machen etwas, das wir selbst niemals machen könnten." Greifbare Hilfe gibt es laut Nilbog allerdings auch nicht. "Wir haben ein gutes Verhältnis zu Daybreak", erklärt er. "Aber wir bekommen keine Ressourcen oder direkte Unterstützung von ihnen."
Obwohl der Serverbetrieb laut Nilbog manchmal schon zu einem Teilzeitjob wird, ist seine Motivation ungebrochen. "Je schwieriger etwas ist, desto größer fällt die Belohnung aus", erklärt er. Darin sieht er auch den Grund, warum so viele Spieler*innen klassische, unkomfortable Spielerfahrungen suchen. "Das, und Nostalgie", sagt er. "Für viele Menschen war Everquest ihr erstes Online-Rollenspiel und sie wollen es so erleben, wie sie es in Erinnerung haben."
Ein Rollenspielserver mit unendlichem Biervorrat
Einer der ältesten deutschen Freeshards ist hingegen nicht an der Rückkehr zu alten Inhalten interessiert. Der Ultima-Online-Server Die Neue Welt geht im Dezember 1999 ans Netz, damals noch über die ISDN-Leitung der beiden Gründer. Hendrik, der auf Die Neue Welt als Aequitas bekannt ist, spielt seit 2001 auf dem Server und übernimmt vor zwei Jahren die Leitung des Teams aus 13 Freiwilligen. "Ich möchte den Spieler*innen ein Rollenspielerlebnis bieten, bei dem sie selbst Drehbuchautor*innen ihrer eigenen Geschichten sind", erklärt er seine Motivation. Im Vergleich zu Project 1999 ähnelt Die Neue Welt eher einer Total Conversion seines Originals, die dem technischen Grundgerüst neue Optik und Inhalte verpasst. Das Team geht auch direkt auf Wünsche seiner Spieler*innen ein und setzt sie mit Grafiker*innen und Programmier*innen um. "Wer wollte nicht immer schon einen sprechenden Zauberhut mit Eigenleben besitzen oder gar einen nie leer werdenden Bierhumpen?"
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