Jugendschutz in Deutschland funktioniert, aber kann Eigenverantwortung nicht ersetzen
Videospiele sind gut. Einige wenige sind sehr gut. Und eine Handvoll davon ist verboten gut. Dead Rising 4 ist nur ein Beispiel von vielen. Das Zombie-Action-Spiel sollte ursprünglich in Deutschland gar nicht erscheinen, wurden seine Vorgänger doch indiziert – und damit so gut wie verboten. Oder? Die vielen Behörden und Begriffe beim Jugendschutz in Deutschland sorgen immer wieder für große Missverständnisse. So etwa im Dezember, als hunderte erotische Spiele von Steam verschwanden und viele Nutzer*innen schon über staatliche Zensur spekulierten.
Immer mal wieder kommen Titel auf den Markt, die Jugendschützer*innen auf den Plan rufen. Beispielsweise dann, wenn besonders intensiv Gewalt dargestellt wird oder pornografische Inhalte darin vorkommen. In Deutschland regeln verschiedene Gesetze, was in die Regale kommen darf und was eingeschränkt wird. Umgesetzt wird das von gleich mehreren zuständigen Prüfstellen. Die bekannteste ist die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, kurz USK. Dabei ist die für die gut sichtbaren Alterskennzeichnungen verantwortliche Stelle gar keine Behörde, sondern wird vom Branchenverband game betrieben – letztendlich also der Spieleindustrie selbst.
Was die USK macht – und was nicht
Prinzipiell hat jedes Spiel, das man in Deutschland erwerben kann, ein solches Symbol auf der Verpackung. Gelb steht beispielsweise für Kinder ab 6 Jahren, ein roter Sticker markiert Titel für volljährige Spieler*innen. Entwickler*innen sind allerdings nur dann zu einer Alterskontrolle verpflichtet, wenn sie auf einem Datenträger im deutschen Einzelhandel erscheinen. Bei digitalen Spielen, die sich nur herunterladen lassen, ist das kostenpflichtige Verfahren hingegen freiwillig. Erhält ein Spiel kein Kennzeichen der USK, heißt das aber noch nicht, dass es von der Alterseinschätzung ausgenommen ist. Ohne eine Alterskennzeichnung dürfte man sie automatisch nur an Erwachsene verkaufen. Würde GameFreak seine Pokémon-Editionen also nicht den Jugendschützer*innen der USK vorlegen, müsste man mindestens 18 Jahre alt sein, um sie kaufen zu können.
Bis das Urteil der Prüfenden ergeht, kann mitunter einige Zeit ins Land gehen. "So ein Verfahren zur Alterskennzeichnung dauert zwischen fünf und 45 Werktagen", erläutert Björn Jahn, Pressesprecher bei der USK. Die lange Bearbeitungszeit ist nicht etwa bürokratischer Trägheit geschuldet. Wenn Entwickler*innen einen Antrag auf Altersüberprüfung stellen, spielt eine Gruppe sogenannter Spielesichter*innen den zu prüfenden Titel komplett durch. Sie notieren dabei nicht nur möglicherweise problematische Inhalte, sondern auch Anmerkungen zur Steuerung, zur Story, zur Grafik, wie man es aus Reviews kennt.
Ein unabhängiges Gremium aus ehrenamtlich tätigen Menschen, die sich beruflich mit der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen, nickt die Alterseinstufung schließlich ab. "Am Ende einer Prüfsitzung unterschreibt ein*e Vertreter*in der Obersten Landesjugendbehörde die Empfehlung des Prüfgremiums oder geht in Berufung", merkt Jahn dazu an. Verbieten kann die USK ein Videospiel allerdings nicht, selbst wenn sie viel zu beanstanden hätte. Die Prüfstelle kann maximal die Kennzeichnung verweigern und es damit praktisch nur für Erwachsene zum Verkauf freigeben. "Die USK kann keine Verbote erwirken", stellt Jahn klar. Was also, wenn ein Titel beispielsweise derart verrohende Gewalt beinhaltet, dass er gegen geltendes Jugendschutzrecht verstößt?
Eine Indizierung ist noch kein Verbot
Dann, so Jahn, träte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) auf den Plan. Das kann sie aber nur, wenn das Videospiel noch nicht von der USK mit einer Alterskennzeichnung versehen wurde. Die USK ist anders als die BPjM zwar keine staatliche Behörde, ihre Einschätzungen werden von diesen aber dennoch anerkannt. Kommt die BPjM dann zum Entschluss, dass ein Spiel in besonderem Maße jugendgefährdend oder gar strafrechtlich relevant ist, kann sie eine sogenannte Indizierung aussprechen. Dieses Wort wird von Spieler*innen zwar oft als Verbot verstanden, untersagt in den meisten Fällen aber nur die Werbung.
Spielejournalist*innen tänzeln deshalb in Berichten um den ausgeschriebenen Namen herum, Videospielhändler*innen dürfen keine Werbeposter mehr aufhängen und Elektronikmärkte müssten den Titel aus den Regalen nehmen. Wegwerfen wäre aber keine Pflicht, denn das Werbeverbot ist kein Verkaufsverbot. Herausgeben dürften Händler*innen das Spiel auf Nachfrage von volljährigen Kund*innen noch. Strafbar ist der Verkauf eines indizierten Spiels aber erst dann, wenn er an Minderjährige erfolgt.
Von den etwas mehr als 500 Spielen, für die das gilt, stehen die meisten auf der sogenannten "Liste A" der Bundesprüfstelle. Die prüft darüber hinaus aber auch Titel, die gegen das Strafgesetz verstoßen, etwa weil sie den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. "Ein echtes Verbreitungsverbot findet statt, wenn ein Strafgericht Verstöße gegen das Strafgesetzbuch feststellen würde", erklärt Björn Jahn. In diesem Fall wird ein indizierte Spiel auf die "Liste B" gesetzt – und erst dann tatsächlich verboten. Hier geht es nicht mehr um Jugendschutz, sondern eine Staatsanwaltschaft übernimmt den Fall.
Wann ist Gewalt zu viel?
Damit ein Spiel auf einer der Indizierungslisten landet, gibt es mehr Gründe als nur die Darstellung von Gewalt. Es spielt auch eine Rolle, gegen wen sie gerichtet ist. Zuletzt wurde im März 2021 ein Spiel aus dem Umfeld der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung indiziert – vor allem wegen homo- und transfeindlicher Inhalte. "Ein Erziehungsziel in unserer Gesellschaft ist darin zu sehen, dass Kinder und Jugendliche lernen sollen, andere Menschen zu tolerieren und zu respektieren" steht in der Begründung der Indizierung. Aus dem Spiel hingegen spräche eine "tiefe Missachtung" für queere Menschen.
Trotzdem ist dieser Vorgang eine Seltenheit. Das letzte beschlagnahmte Spiel war der Shooter Hatred im Jahr 2016, die letzten Neuzugänge auf die Liste A sind drei Jahre her. Neben Dead Rising wurde damals ein Spiel namens Valkyrie Drive: Bhikkhuni indiziert – nicht wegen Gewalt, sondern wegen der sexualisierten Posen jugendlicher Figuren. Und obwohl das Gremium die Indizierung mit Paragraph 15 des Jugendschutzgesetzes begründete, steht der Titel nur auf Liste A und nicht der Liste B. Den Straftatbestand der Verbreitung jugendpornografischer Schriften sah das Gremium nicht erfüllt. Die Hürden für ein echtes Verbot sind also hoch.