Journalist*innen können von Spielen noch etwas lernen
Als Gamedesigner Gonzalo Frasca 2001 das Spiel Kabul Kaboom veröffentlicht, ist dem gebürtigen Uruguayer noch nicht klar, dass er damit ein neues Genre begründet. "Ich dachte, dass es sich nur ein paar meiner Freunde anschauen würden", erklärt er 2018. Spieler*innen steuern darin eine Frau aus dem Gemälde Guernica von Pablo Picasso, die Hamburger mit ihrem Mund auffangen und fallenden Bomben ausweichen muss. Damit kritisiert Gonzalo Frasca die US Army, die im Afghanistan-Krieg, der 2001 begann, Bomben und Lebensmittel zur selben Zeit aus den Flugzeugen geworfen hat.
Das Genre, das Frascas Spiel begründet, ist das der Newsgames – Spiele, die Nachrichten vermitteln und erfahrbar machen. "Dann habe ich eine E-Mail von einer dänischen Zeitung bekommen, die mich über das Spiel interviewt hat", erinnert sich Frasca. "Das war die Zeit, in der ich dachte: Okay, warte mal. Eine Zeitung interessiert sich dafür?"
Spiele über 9/11, Dafur und Prism
Das Interesse an Newsgames wächst auch über Kabul Kaboom hinaus: Etwa zwei Jahre später veröffentlicht Frasca sein Spiel September 12th als kritischen Kommentar zum Terroranschlag des 11. September – mit einem Twist. Spielende müssen mit einer Waffe Terroristen töten, die sich über einen öffentlichen Platz bewegen. Jedes Mal, wenn man schießt, trifft man auch unschuldige Zivilist*innen. Dadurch werden noch mehr Menschen zu Terroristen. Die Botschaft: Man kann das Spiel nur gewinnen, indem man es nicht spielt, damit es nicht zu noch mehr Terror und Gewalt kommt.
Immer wieder erscheinen in den folgenden Jahren weitere Newsgames, wie 2006 Dafur is Dying von interFuel, oder 2010 You fix the budget von der New York Times und Inside the Haiti Earthquake von der kanadischen Produktionsfirma PTV. In Deutschland ist Marcus Bösch der erste, der 2013 mit Prism - The Game ein Newsgame veröffentlicht, das die NSA-Datenaffäre inklusive ihres Überwachungsprogramms Prism thematisiert und die Spielenden zu Agent*innen des US-Geheimdienstes macht.
Für die vergleichsweise geringe Anzahl an Newsgames hat Bösch eine simple Erklärung: "Alle drei, vier Jahre entdeckt irgendjemand mal irgendwo diesen Begriff 'Newsgames', probiert sich da enthusiastisch aus, stellt fest, dass die Welt noch nicht bereit ist und die Medienanbieter schon gleich gar nicht." Auch wenn Böschs Eindruck zunächst negativ klingt, sieht er genau in diesem immer wiederkehrenden Zyklus ein "Zeichen dafür, dass es sich entwickelt."
"Das ist nicht spielen, das ist Mühe"
Aber kann diese auf- und abebbende Newsgame-Welle zukünftig zu einem stetigen Fluss, einer etablierten Erzählform in den Redaktionen und Medienhäusern werden? "Da bin ich etwas skeptisch", sagt Jan Eggers, Datenjournalist beim Hessischen Rundfunk. Er sieht zum Beispiel das benötigte Budget und die längere Arbeitszeit bei einem Spiel im Vergleich zu einfachen Textbeiträgen als Probleme und ergänzt: "Man kommt als Journalist meistens von der Seite, dass man eine packende Geschichte hat und eine Spielmechanik dafür sucht. Es gibt meiner Meinung nach ganz wenige Fälle, wo das gut funktioniert."
Er selbst spiele Games primär, um sich von ihnen unterhalten zu lassen. "Die reinen Newsgames sind darauf bedacht, dass ich unbedingt etwas lernen soll. Deshalb konnte ich mich für Beispiele wie Papers, Please nicht begeistern, so toll ich den Ansatz fand, weil ich mich nicht überwinden konnte, da ich dachte: Das ist nicht spielen, das ist Mühe", erzählt Eggers. Für ihn sähe das ideale Newsgame deshalb so aus: "Ich lerne etwas über die wirkliche Welt, was sonst in einer anderen journalistischen Form vermittelt würde, aber habe Spaß dabei und merke gar nicht, dass ich lerne."
Echtzeitdaten haben den Journalismus umgekrempelt
Der Datenjournalismus hingegen hat sich als Methode mit seinen unterschiedlichen Darstellungsformen mittlerweile in den Redaktionen etabliert. Wie beim Hessischen Rundfunk, haben jetzt viele von ihnen Daten-Teams. Auch das musste sich über viele Jahre entwickeln, weiß Eggers, der bereits 2009 mit einem Volontär und einem Programmierer ein Datenprojekt umsetzen konnte. "Wir haben den Landeshaushalt in einer anderen Form, also zum Durchklicken, aufbereitet", erklärt er. "Wir haben wochenlang PDFs gewälzt und Tabellen abgetippt. Am Ende hat das nicht die Aufmerksamkeit gebracht, die wir uns erhofft hatten. Ich glaube, so ging es am Anfang vielen."