So werden Spiele über Sex aus dem Mainstream verdrängt
Kürzlich hat mit Game Jolt eine weitere Plattform sexuelle Inhalte gelöscht. Der Fall zeigt: Es gibt keinen sicheren Hafen mehr für Adult Games. Das hat drastische Auswirkungen auf das Medium an sich.
Von einem Tag auf den anderen waren sie verschwunden. Anfang Januar setzte die Vertriebsplattform Game Jolt zahlreiche Entwickler*innen urplötzlich darüber in Kenntnis, dass ihre Spiele nicht mehr den Nutzungsbedingungen entsprächen und daher gelöscht würden. Die Spiele selbst, ihre Store- und Community-Seiten, sämtliche Kommentare von Fans – alles war weg.
"Ich konnte es nicht glauben, als Game Jolt diese Mitteilung verschickte", sagt die Entwicklerin Nathalie Lawhead. "Es schien ein Fehler zu sein, denn ich hatte oft mit den Betreibern gesprochen und gehört, dass sie eine bessere Alternative zu Orten wie Steam sein wollen." Lawhead ist bekannt für experimentelle Titel wie Everything is going to be OK. Ihr Spiel F2OGGY wurde irrtümlich gelöscht und ist mittlerweile wieder verfügbar.
Die Grenzen der Kunstfreiheit
Trotzdem kritisiert sie die Entscheidung der Plattformbetreiber*innen, denn betroffen von den neuen Richtlinien sind alle Spiele, die sexuelle Akte "darstellen, normalisieren oder glorifizieren." Das sind nicht nur Adult Games, sondern auch solche, die sich zum Beispiel mit queeren Lebenserfahrungen oder, wie Llaura McGees Curtain, mit sexuellem Missbrauch auseinandersetzen.
Die Gefahr des "Deplatforming" begleitet Kunstschaffende und Produzent*innen sexuell expliziter Inhalte ständig. Oft werden Plattformen, wie etwa im Falle von Tumblr oder OnlyFans, dank der Arbeit dieser Menschen überhaupt erst erfolgreich. Doch sobald sie im Mainstream ankommen und Investor*innen involviert sind, werden die Nutzer*innen der ersten Stunde verdrängt. Das Prinzip der Gentrifizierung, angewendet im virtuellen Raum.
Im Fall Game Jolt überraschte aber, wie schnell und radikal dieser Verdrängungsmechanismus zur Anwendung kam. "Wie alle anderen wurde auch ich von dieser Nachricht völlig überrascht," sagt Mr. Hands, der unter diesem Pseudonym einen Newsletter über Adult Games veröffentlicht und selbst als Spieleentwickler tätig ist. Als die Neuigkeiten die Runde machten, hörte er sich in der Szene um und stieß auf "Wut, Frustration und Verbitterung." Denn so sehr Entwickler*innen von Adult Games Probleme wie diese gewohnt sind, überraschte und verärgerte sie die "besondere Kaltherzigkeit", mit der Game Jolt Mr. Hands zufolge vorgegangen sei: "Die Macher*innen von Adult Games fühlten sich wegen des Inhalts ihrer Spiele ausgesondert, weil sie das auch wurden."
Entwickler*innen wurden über Nacht heimatlos
Wie bereits unzählige Male zuvor, stellt sich nun die Frage, wo sie ihre Werke stattdessen verkaufen können. Game Jolt selbst hob Steam als Alternative hervor und bot betroffenen Entwickler*innen an, sie beim Umzug in den Online-Marktplatz zu unterstützen. Rückmeldungen aus der Community zufolge hat das allerdings bislang kaum geklappt. Und es ist fraglich, ob Valves riesige Vertriebsplattform ihr langfristig Obdach gewähren kann und wird. Zwar sind seit 2018 sexuell explizite Inhalte dort prinzipiell erlaubt, doch gibt es kein Regelwerk, an dem man sich orientieren könnte.
Immer wieder machen Spiele Schlagzeilen, die zunächst zum Verkauf zugelassen und kurze Zeit später, scheinbar willkürlich, wieder gelöscht werden. "Steam ist der größte Marktplatz für PC-Spiele und erlaubt nach wie vor Inhalte für Erwachsene in den von ihnen verkauften Spielen. Aber ihre Regeln scheinen ziemlich kompliziert und manchmal widersprüchlich", bestätigt Mr. Hands, und ergänzt, dass explizite Spiele nach dem "Opt-in"-Prinzip standardmäßig ausgeblendet würden. Man muss also gezielt nach solchen Spielen suchen, um sie zu finden – und wird dann von einer riesigen Masse mittelmäßiger Produkte erschlagen, die den virtuellen Marktplatz seit Jahren fluten.
Aus dieser Masse herauszustechen, ist extrem schwierig, gerade für kleinere Teams oder Solo-Entwickler*innen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Genau für die war Game Jolt bislang ein guter Startpunkt, weil es dort keine finanzielle Hürden gab. Für jedes auf Steam veröffentlichte Spiel müssen Entwickler*innen hingegen eine Gebühr von 100 US-Dollar zahlen, die erst ab einem Gewinn von 1.000 US-Dollar wieder gutgeschrieben werden. Was für große Publisher Peanuts sind, kann für Indie-Entwickler*innen mit kleinem Budget zu einem ernsthaften Problem werden – gerade, wenn ihr Spiel ohne Vorwarnung direkt wieder gelöscht wird.
"Gabe könnte in einem Live-Stream Jungfrauen opfern"
Die Situation auf Steam ist kompliziert. Die Quasi-Monopolstellung der Plattform schützt sie davor, dass sexfeindliche Zahlungsdienstleister wie PayPal oder MasterCard ihr plötzlich den Geldhahn zudrehen. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass Gabe jeden Morgen per Livestream Jungfrauen auf dem Dach seines Tesla opfern könnte, und sie würden es entschuldigen, bei der Menge an Geld, die Steam für sie generiert", erklärt Chase B., der das Adult Game Paradise Lust mitentwickelt.
Steams Position als unantastbarer Marktführer bedeutet aber auch, dass die Plattform sich ihren höchst unprofessionellen und intransparenten Umgang mit kleineren Studios – und speziell Entwickler*innen von Adult Content – leisten kann. Selbst wenn Valve sämtliche Adult Games sperren würde, wäre das für die Firma nur ein kleiner Verlust. Die großen Gewinne fährt sie schließlich nach wie vor durch AAA-Titel ein. "Ich halte Steam nicht wirklich für einen sicheren Ort, um sexuelle Inhalte zu veröffentlichen. Sie sind viel zu inkonsequent in ihrer Reaktion auf Dinge, besonders wenn es sich um queere sexuelle Inhalte handelt," lautet deshalb auch das Fazit von Souha-Al Samkari, die kürzlich die erotische Visual Novel First Bite veröffentlicht hat – nicht auf Steam, sondern auf Itch.io.
Ist Itch.io der Retter in der Not?
Die 2013 gestartete Indie-Vertriebsplattform wird seit Jahren als sicherer Hafen für unkonventionelle, aneckende und eben auch sexuell explizite Spiele hervorgehoben, und weiß sich selbst entsprechend zu inszenieren. Als die Neuigkeiten von Game Jolts Sex-Game-Verbot die Runde machten, setzte das PR-Team prompt einen Tweet ab, in dem es gezielt auf entsprechende Inhalte im eigenen Store verwies.
Und tatsächlich: Auf der Seite finden sich mittlerweile zahlreiche Spiele, Kurzgeschichten und Comics, in denen Sexualität im Zentrum steht, Pornografie inklusive. Im Januar taten sich einige Künstler*innen und Entwickler*innen zusammen, um mit einem "Fuck Censorship"-Bundle gegen Game Jolt und die Verdrängung aus immer mehr Online-Räumen zu protestieren. Die Sammlung aus 32 Spielen war derart erfolgreich, dass sie statt 2.000 US-Dollar letztlich über 10.000 US-Dollar eingespielt hat, die einem gemeinnützigen Projekt zur Unterstützung Sexarbeitender zugute kommen sollen. Sowohl der Verkauf des Bundles als auch der gleichzeitig durchgeführte Sex Games Jam standen unter dem Motto: "Book bannings are preludes to book burnings. Let us build libraries."
"Ein Teil meiner Geschichte ist weg"
Dieser Vergleich mit den Bücherverbrennungen faschistischer Regime mag zunächst unangemessen erscheinen, doch gerade beim Umgang mit queeren Geschichten gibt es Parallelen. "Queere Entwickler*innen sind diejenigen, die sich am meisten mit Themen wie Sexualität, sexueller Identität, Sex, der Beziehung einer Person zu ihrem eigenen Körper (oft mit Nacktheit), sexuellem Ausdruck, Konzepten von Intimität oder sogar schweren Missbrauchsthemen beschäftigen", erklärt Nathalie Lawhead. "Es ist einfach, auf ein queeres Spiel zu zeigen und es als 'nur für Erwachsene' zu bezeichnen, weil die Kultur der Stores und die klassische Gamer-Kultur bereits darauf ausgerichtet sind, all dies als abartig zu betrachten." Auf Twitter schreibt eine queere Künstlerin über ihr erstes erfolgreiches Spiel: "Sie löschen es buchstäblich komplett. Alle Gameplay-Statistiken, alle lustigen Kommentare, es wird sein, als hätte es nie existiert. Ein Teil meiner Geschichte ist weg." Mit den Werken einer marginalisierten, unterrepräsentierten Gruppe der Gesellschaft werden auch Teile ihrer Kulturgeschichte gelöscht, die jedoch wichtig für identitätsstiftende Prozesse ist und Menschen Rückhalt geben kann.
Vorerst wird diese Kulturgeschichte auf Itch.io für die Nachwelt erhalten – aber wie lange noch? Es gibt durchaus Grund zur Sorge: "Itch.io ist für den Moment sicher, aber es scheint nicht wahrscheinlich, dass das so bleibt, wenn man bedenkt, wie die Dinge laufen," sagt Souha Al-Samkari und Mr. Hands ergänzt, dass auch Itch.io über kurz oder lang Probleme mit Zahlungsdienstleistern und deren strengen Regeln gegen sexuelle Inhalte bekommen wird. "Und wenn die Wahl zwischen Spielen für Erwachsene und der Abwicklung von Zahlungen besteht, kann schnell entschieden werden, Ersteres zu verbieten."
Zwar betont Betreiber Leaf Corcoran immer wieder, dass es nicht sein Ziel sei, mit Itch.io reich zu werden. Aber auch er muss nach den Regeln des Kapitalismus spielen, und diese Regeln sind auf Profit ausgelegt. Eindrücklich zeigt das der Aufstieg und Fall von Tumblr, das anfangs ebenfalls als sicherer Raum für Off-Kultur und Pornografie galt – bis sich Investoren einschalteten. Nachdem Yahoo die Plattform kaufte, wurden explizite Inhalte zunächst ausgeblendet und 2018 komplett entfernt.
Die Regeln des Marktes
Mit mehr als 400.000 Produkten ist Itch.io längst kein digitaler Tante-Emma-Laden mehr. Je mehr die Plattform wächst, desto wahrscheinlicher wird es, dass Kontrollinstanzen sie genauer unter die Lupe nehmen, sei es der Gesetzgeber, ein Zahlungsdienstleister oder auch Apple. Der Branchenriese führte im vergangenen Jahr in einem Prozess gegen das Softwareunternehmen Epic Itch.io gezielt als Negativbeispiel an und sprach von dort angebotenen Spielen, die so anstößig seien, dass man im Gerichtssaal nicht offen über sie sprechen könne. Apple gewann den Prozess. Welche Rolle dabei Itch.io und seine "unspeakable games" spielten, lässt sich nicht sagen, aber die Plattform ist dadurch zweifellos weiter in das Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt.
Auch Game Jolt, so spekulieren Branchen-Insider*innen, ist Opfer dieser Dynamiken geworden: Einer Mischung aus Wachstumszwang, Finanzierungsdruck, und der Sexfeindlichkeit seiner Geldgeber*innen. Zwar behauptete das Unternehmen öffentlich, dass die relativ junge User-Basis der Plattform selbst um die Löschung sexueller Inhalte gebeten habe, doch wurden hierfür keine Belege geliefert. Eine entsprechende Anfrage per E-Mail blieb unbeantwortet.
Was klar ist: Game Jolt soll neu ausgerichtet und zu einer Community-Plattform entwickelt werden, auf der sich Fans über ihre Lieblingsspiele austauschen können. Das Hosting von Spielen wird wohl zunehmend in den Hintergrund treten. Für diese Umbaumaßnahme und die Fertigstellung einer eigenen App konnten die Betreiber*innen Investitionen in Höhe von 2,6 Millionen US-Dollar sichern. Gut möglich, dass diese Zuschüsse an Bedingungen geknüpft sind, die auf der Plattform angebotene Inhalte betreffen. Mr. Hands geht davon aus, dass Adult Games lediglich ein erstes Ziel waren und weitere Spiele folgen werden: "Die neuen Richtlinien von MasterCard in Bezug auf nicht jugendfreie Inhalte gaben ihnen einen guten Grund, diese zuerst zu entfernen, aber ich denke, wir werden sehen, dass sie auch die anderen Spiele aus ihrem Store entfernen werden."
Ob das auch Spiele mit Gewaltdarstellungen betreffen wird, ist indes offen. Aktuell gibt es in den Richtlinien keine entsprechenden Einschränkungen, lediglich "Gore" – also die besonders drastische, blutige Inszenierung von Gewalt – gilt als unerwünscht. Während es also bis auf Weiteres unproblematisch bleibt, Menschen auf vielfältige andere Arten umzubringen, dürfen einvernehmliche, liebevolle Sexakte ebenso wenig dargestellt werden wie brutale Vergewaltigungen.
"Es ist einfacher, sexuelle Inhalte zu verbieten, wenn man sie zu einer moralischen Frage macht", erklärt Souha Al-Samkari. "Pornografie wurde erfolgreich verunglimpft, und viele oder die meisten Menschen betrachten sie als Inhalte ohne sozialen Wert. Alle sexuellen Inhalte zu Pornografie und alle Pornografie zu abscheulichen, obszönen und schädlichen Inhalten zu erklären, ist ein viel schnellerer und einfacherer Weg, um die Ziele derjenigen zu erreichen, die hinter den Verboten stehen."
Diese Gleichsetzung mit Pornografie führt immer wieder zum Vebot der bloßen Erwähnung von Sexualität. Das sorgt besonders im Kontext queerer Inhalte für weitere Probleme. "Queere Werke werden immer wieder durch sehr westlich-christliche Normen unterdrückt", sagt Nathalie Lawhead. "Es ist auch eine Slippery Slope, weil man nicht vorschreiben kann, welche Art von menschlichem Ausdruck Teil der Kunst sein darf und was zu abweichend ist."
Langfristig hilft nur Dezentralisierung
In zwei Punkten sind sich alle Interviewpartner*innen einig: Sexualität ist ein normaler Teil der menschlichen Erfahrung und sollte in Spielen in all ihren Facetten abgebildet werden dürfen. Doch der Status quo steht einer freien künstlerischen Entfaltung entgegen. Entwickler*innen müssen jederzeit darauf gefasst sein, dass ihre Werke gesperrt werden und sie ihre Einkommensquelle verlieren. Entscheidend ist daher, auf einen dezentralen Vertrieb hinzuwirken, statt auf eine einzelne Plattform wie Itch.io zu setzen. Denn die Erfahrung zeigt, dass diese Hoffnung über kurz oder lang immer enttäuscht wird.
Diese ständige Ungewissheit bleibt nicht folgenlos. "Keines meiner Werke ist völlig explizit, aber solche Richtlinien halten mich davon ab, explizite Inhalte zu veröffentlichen", sagt Souha Al-Samkari. "Das ist erdrückend und es ist eine große Schande. Niemand will Zeit und Geld in die Erstellung eines Werks investieren, das nicht veröffentlicht werden kann oder kurz darauf für den Verkauf gesperrt wird." So werden nicht nur einzelne Entwickler*innen an einem freien, kreativen Ausdruck gehindert, diese Einschränkungen treffen auch entmutigende Aussagen darüber, welche Geschichten das Medium erzählen sollte: "Die Implikation ist, dass Spiele, die von Liebe, Sex und Romantik handeln, weniger wert sind als Spiele über Hass, Gewalt und Grausamkeit."
Die Erfahrung zeigt aber auch, dass die künstlerische Auseinandersetzung mit Nacktheit, Sexualität und sexueller Identität nie langfristig unterdrückt werden kann. Kunst- und Medienschaffende finden immer wieder Möglichkeiten, ihre Erfahrungen und Sehnsüchte abzubilden. Das gilt auch für Pornografie, die stets ein Innovationsantrieb für die Etablierung neuer Medien und Technologien war, etwa im Bereich der Virtual Reality.
Obwohl Paradise Lust auf Steam in Deutschland gesperrt und auf Game Jolt gar nicht mehr verfügbar ist, wagt Chase B. einen optimistischen Blick in die Zukunft. "Menschen wollen anderen Menschen beim Ficken zusehen", sagt er. "Das ist normal. Und während die Spieleindustrie wächst, wird sie sich mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, dass die Leute auch in Spielen ficken wollen." Anzügliche Spiele seien die "Pornos" der Branche – aber mit der Zeit werden die Grenze zwischen Adult Games und "Normie Games" verschwimmen, sagt der Entwickler. "Das kann gar nicht schnell genug gehen."