Indie-Entwickler*innen haben während Corona die Konferenz-Landschaft umgekrempelt
Die Pandemie verändert, wie sich Menschen begegnen. Dank Indie-Entwickler*innen werden Interaktionen in digitalen Räumen immer spielerischer. Ihre Designentscheidungen beeinflussen nicht nur virtuelle Gaming-Events, sondern prägen eine neue Ära für Konferenzen aller Art.
Als im Frühjahr 2020 die ersten Gaming-Konferenzen realisieren, dass mit der anrollenden Corona-Pandemie keine normalen Veranstaltung möglich sein werden, scheinen die Möglichkeiten endlos. Wo sonst gibt es so viel Potenzial für Innovation wie in der Spielebranche? Besonders die kleinen Events begreifen die neue Situation als Chance.
Ein Jahr später ist die Euphorie der Realität gewichen. Viele Großevents wie E3 und gamescom setzen bisher vor allem auf Livestreams, statt mit Formaten zu experimentieren. "Machen wir uns nichts vor: Alle müssen dieses Jahr abliefern", sagt Valentina Birke. Die Projektmanagerin bei Super Crowd Entertainment war bereits für mehrere digitale Veranstaltungen verantwortlich. "Wenn man dieses Jahr was Schlechtes abliefert, heißt es: 'Ah, du hattest jetzt aber ein Jahr Zeit.'" Sie glaube fest daran, dass die Events im zweiten Jahr der Pandemie kreativer sein werden.
Aus der Not geborene Digitalisierung
Die von Super Crowd organisierte Hamburg Games Conference fand in diesem Jahr auf einem kunterbunten Kreuzfahrtschiff statt. Auf mehreren Ebenen präsentieren sich 51 Aussteller aus aller Welt – komplett digital. Die Avatare tragen Bilder ihres Real-Life-Pendants über dem Kopf, sodass man sich leicht finden kann. Das ist ein ausgereiftes System. Doch das war nicht von Anfang an so.
Als zu Jahresbeginn 2020 klar wird, dass die Indie Arena Booth nicht wie gewohnt im Rahmen der gamescom stattfinden kann, muss es schnell gehen. Eine virtuelle Konferenz soll her. "Es lag nahe, dass wir ein Spiel machen", sagt Valentina Birke. Die Indie Arena Booth hatte bereits einen sehr eigenen Grafikstil, den die Designer*innen nur in die virtuelle Welt übersetzen mussten. Den persönlichen Avatar bewegt man mit der Maus, damit man gleichzeitig chatten kann. Alles ist so einfach wie möglich gehalten, damit auch Menschen, die keine Digital Natives sind, sich zurechtfinden können.
Noch entsteht jedes Event im selbstgebauten Framework "Super Crowd X5" in Handarbeit, nichts ist automatisiert. "Da arbeiten die Leute, die vorher in der physischen Welt die Messe gebaut haben, die machen das jetzt im Virtuellen", erklärt Birke. "Die Leveldesignerin macht den Plan und die Booth Builder stellen die Sachen dann hin. Das ist ein genauso krasser Aufbau – nur ohne Muskelkater. Dadurch konnten wir alle Stellen behalten und sogar noch mehr Leute einstellen", so Birke.
Das Grundgerüst der digitalen Indie Arena Booth war zuerst nur als schnell zusammengebaute Lösung gedacht, aber die Nachfrage ist groß. Super Crowd selbst setzten es auf der Community-Messe MAG und der Hamburg Games Conference ein. Aber auch klassische Messen, Unis und Schulen melden mittlerweile Interesse an. Und selbst der Tag der offenen Tür des Bundesamts für Verkehr und digitale Infrastruktur fand, in etwas dezenteren Farben, schon im System der Indie Arena Booth statt.
Hacker-Konferenzen in niedlichen Pixelwelten
Der Bedarf für digitale Events geht weit über die Spielebranche hinaus. Ob Hacker*innen-Treffs, Chaos Communication Congress oder die Entwickler*innen-Konferenz JavaLand – mittlerweile finden selbst seriöse Events in wuseligen Pixelwelten statt, in denen Besucher*innen als Avatare von Stand zu Stand wandern. Dahinter stehen Systeme wie Gather Town und Work Adventure. Dass dieses Konzept innerhalb weniger Monate die deutsche Veranstaltungsszene dominiert, war auch für die Entwickler von Work Adventure eine Überraschung.
Auch dieses Tool wurde aus der Not geboren. The Coding Machine ist ein Open-Source-Entwicklerstudio aus Paris und David Négrier der Hauptentwickler von Work Adventure. Als der erste Lockdown im März 2020 für Paris erlassen wird, fühlen sich alle hilflos. Bei einem Hackathon im Betrieb fällt den Teammitgliedern auf, dass ihnen besonders die ungezwungenen Gespräche mit den Kollegen fehlen. Zwei Monate später ist der erste Prototyp von Work Adventure bezugsfertig. "Alle waren so glücklich und konnten mit dem Grinsen nicht mehr aufhören", berichtet Négrier vom Release. "Wir haben Work Adventure dann auf GitHub gestellt – und niemand hat es mitbekommen."
Bis plötzlich der Chaos Computer Club auf Work Adventure aufmerksam wird. Der Verein setzt das Tool für den RC3, die digitale Version seines jährlichen Kongresses, ein. "Wir wussten nichts davon. Erst ein paar Monate später hat uns dann jemand vom CCC darauf aufmerksam gemacht", sagt Négrier. "Seitdem ist es explodiert." Aus dem Hobbyprojekt ist ein Vollzeitjob für das vierköpfige Team geworden. "Wir kriegen viel Input von der Community, besonders aus Deutschland. Wenn du auf unser GitHub schaust, siehst du, dass wir vollkommen überfordert sind", sagt Négrier. Sie kämen mit dem Beantworten der Anfragen nicht hinter. "Wir sind einfach zu wenig Leute."
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