Der Horror von The Mortuary Assistant findet auf der Tonspur statt

Brian Clarke weiß, was ihn erschreckt. Der Entwickler des besonders von Streamer*innen hochgelobten Indie-Titels The Mortuary Assistant erinnerte sich bei der Arbeit am Spiel an Momente aus Horrorfilmen zurück, die ihn besonders beeindruckt haben. Für sein Spiel, das zu Hochzeiten von mehr als 1.000 Spieler*innen gleichzeitig gespielt und von 100.000 Nutzer*innen bei Twitch gesehen wird, geht Clarke allerdings weiter, als Techniken oder Jump Scares bloß nachzuahmen.

"Mein Ziel ist es, die Spielenden in das Setting zu ziehen, das ich entwarf. Sound ist ein wahnsinnig wichtiger Teil davon", erklärt er. Die Spieler*innen sollen konstant on edge sein, also immer auf der Hut. Zu diesem Zweck nutzt Clarke subtiles Sound-Design, jedes noch so kleine Knarren und Klopfen soll hörbar und präsent sein. Der Schauplatz des Spiels tut sein Übriges: Protagonistin Rebecca wird in einem Leichenschauhaus heimgesucht. Während sie Leichen einbalsamiert und Akten ausfüllt, ergreift ein Dämon Besitz von ihr und spielt mit ihrer Wahrnehmung. Das äußert sich zum Beispiel in sprechenden Toten, plötzlichen Erscheinungen oder flackernden Lichtern.

Trotz des durchdachten Sounddesigns ist bei The Mortuary Assitant auch die visuelle Ebene furchteinflößend. (Quelle: DarkStone Digital)

Prasselnder Regen als Werkzeug des Schreckens

Auch wenn Rebecca allein ist, ist es nie still. "Stille selbst ist ein extrem mächtiges Werkzeug", betont Clarke, "deswegen will man sie bewusst einsetzen können." Erst im Kontrast fällt auf, dass die banalen Geräusche des Alltags fehlen, die Normalität und Sicherheit vortäuschen. Während vollkommene Stille eine Spielwelt tot und unfertig wirken lassen könne, sei das bewusste, zeitweise Weglassen von Sound ein kontrastreicher Effekt, so Clarke. Um diesen nutzen zu können, tobt ein Sturm im Hintergrund. "Das weiße Rauschen des Regens rückt nach und nach in den Hintergrund, sodass es sich still anhört, ohne still zu sein. Hat man sich erst daran gewöhnt, ist es leicht andere Geräusche zu hören."

Andere Geräusche können so harmlos sein wie das beständige Summen der Einbalsamierungspumpe oder das leise Kreischen der Rollen einer Bahre auf den Fliesen. Unbehaglicher ist das Schlürfen und Schmatzen von Flüssigkeiten, die den Körper verlassen oder Lider und Lippen, die geschlossen werden. Einige der Geräusche kreiert Clarke mit bearbeiteten Aufnahmen von Wasser, das er in unterschiedliche Behältnisse gießt.

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Wenn dann doch ein Geräusch die Stille unterbricht, wird dessen Wirkung oft auch musikalisch unterstützt. Clarke nutzt den Soundtrack pointiert, um Spielende in die Irre zu führen und Dramatik aufzubauen, ohne notwendigerweise den kathartischen Jump Scare folgen zu lassen. Umgekehrt gibt es Momente, die zwar visuell erschreckend sind, aber durch keine weiteren Signale eingeordnet werden.

"Oft steht ein Geist direkt hinter dir, aber du siehst ihn nicht"

Das System hinter den zufälligen Heimsuchungen beschreibt Clarke als Haunt System: "Es simuliert die Idee, dass dir deine Augen einen Streich spielen. Es sind Events, die darauf warten, dass der Spieler oder die Spielerin sie sieht und erst dann abgespielt werden." Eine Reihe an Mechanismen sorge dafür, dass Spieler*innen dort hingucken, wo die sprichwörtliche Musik spielt. Tun sie es nicht, reihe sich das Event wieder ein und werde später noch einmal abgespielt. "Oft steht ein Geist direkt hinter dir, aber du siehst ihn nicht."

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Komplettiert wird die Sound-Architektur durch die Stimme des Dämon, die Clarke aus seiner eigenen und denen von Rebeccas Angehörigen zusammengebaut hat. "Die Idee war, eine Stimme zu erzeugen, bestehend aus den Stimmen derer, die Rebecca liebt,  und einer zusätzlichen, fremden Stimme", erklärt er. Einzelne Spuren wurden höher oder tiefer gepitcht, übereinandergelegt und so zu einer unheimlichen Stimme verzerrt, die nie gleich klingt, aber immer bekannt.

Zum Ende des Spiels öffnet sich die Soundkulisse nochmal unerwartet. Bei der Rückkehr ins Hauptmenü spielt eines der wenigen Lieder des Spiels, das mehr ist als Dröhnen und Kratzen. Der Auftrag an Komponist Cody Pawlak lautete, etwas zu erschaffen, das sich leer und distanziert anfühlt und damit Rebecca reflektieren soll.

Dass Geräusche und Musik effektiver sein können als jeder Jump Scare, haben in der Vergangenheit Indie-Titel wie Sylvio oder Pathologic 2 bewiesen. Auch The Mortuary Assistant profitiert von einem durchdachten Sounddesign. Ob die Macht von subtilem Regenprasseln, markerschütternden Stimmen oder das Klicken und Klacken der medizinischen Zangen und Skalpelle: Horror findet auch hier auf der Tonspur statt.

Dieser Artikel ist in der zweiten Sonderausgabe des Gee Magazin erschienen. Superlevel hat ihn mit Erlaubnis von Autorin und Redaktion in angepasster Version für euch auch online veröffentlicht. Wenn euch dieser Text gefallen hat, unterstützt die Gee, indem ihr das Heft für 8,90 Euro kauft!