Wie Gefangene mit uralten Konsolen resozialisiert werden sollen
Wer in Deutschland Straftaten begeht, sollte ein Faible für Retrogaming haben. Denn im Gefängnis gibt’s nur antike Hardware mit alten Spielen – wenn überhaupt.
"Gameboy, PS 1, Gamecube, Wii-mini, Lexibook TV-Spielekonsole", antwortet das niedersäschische Justizministerium auf die Frage, ob, und wenn ja, welche Spielekonsolen in den Justizvollzugsanstalten (JVA) des Landes erlaubt sind. Spiele bis zur Freigabe bis 16 Jahre sind dabei problemlos orderbar, indizierte Games und Ego-Shooter sind ausgeschlossen. So weit, so gut. Aber was soll eine Lexibook-TV-Konsole sein?
Beim Sichten der Antworten aus mehreren Bundesländern, die Superlevel erhalten hat, ergibt sich ein düsteres Bild über den Stand des Gaming für Gefangene. Die herausgegebenen Spielekonsolen sind in erster Linie ebenso wie die Spiele veraltet. Zudem sind diese für die Gefangenen in aller Regel teuer.
Immer wieder betonen die Justizministerien, dass Gaming als Freizeitbeschäftigung und nicht etwa Therapie dienen soll. Diese Möglichkeiten sind allerdings relativ neu. Früher waren Gefängnisse Zuchthäuser und Arbeitslager, davon haben sich die Anstalten mittlerweile wegentwickelt. Die Historikerin Annelie Ramsbrock beschreibt in ihrem Buch Geschlossene Gesellschaft beispielsweise, dass seit 1945 statt der Bestrafung eher die Resozialsierung von Straftäter*innen im Fokus steht.
Allgemeine Lebensverhältnisse aus den 90er-Jahren
In Nordrhein-Westfalen bedürfen Spiele "grundsätzlich der Genehmigung im Einzelfall". Dort sitzen aktuell um die 14.000 Gefangene in 36 JVAen. Sollten "Playstation 1 und 2 sowie [vergleichbare] Spielkonsolen anderer Hersteller" – so ein Sprecher – genehmigt werden, müssen sie vorher verplombt und versiegelt werden, um den Sicherheitsstandards der JVAen zu entsprechen.
Der Sprecher des sächsischen Ministerium betont, dass "Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen" ist. Eine "möglichst selbstbestimmte Freizeitbeschäftigung ist den Gefangenen in der Regel sehr wichtig". Trotz dieser versuchten Angleichung sind nur die Playstation 1 und 2 oder ein Gameboy erlaubt. Erstere kam erstmalig 1994 auf den Markt, die PS 2 folgte 2000, ein Gameboy kann gar von 1990 sein. In den allgemeinen Lebensverhältnissen freier Gamer*innen finden diese Konsolen nur bei Retro-Fans statt.
Alte Spielekonsolen sind allerdings nicht das einzige, was in Gefängnissen viel Geld kostet. Die Firma Massak beispielsweise betreibt in einem Großteil der deutschen JVAen Läden, über die die Gefangenen Produkte beziehen können – teils zu horrenden Preisen selbst für günstige Eigenmarken von Supermarktketten, wie ein Artikel der nd beschreibt. Für die Telekommunikation in Gefängnissen steht die Hamburger Firma Telio parat. Auf Konkurrenz trifft sie beim Einbau von Telefonen selten. Die Kosten für die Telefonie werden dabei in aller Regel auf die Gefangenen umgelegt, während die Preise nicht transparent sind.
Welche Unternehmen die Spielekonsolen liefern, sagen die Ministerien nicht. Aber: "Sollten Spielekonsolen zugelassen werden, können diese nur neu und originalverpackt über einen von der Anstalt zugelassenen Versandhändler bezogen werden", so der Sprecher aus Sachsen-Anhalt.
Doch auch dann seien noch einige Schritte notwendig. So müssten Bluetooth und WLAN-Module entfernt werden, um "unerwünschte Kommunikationen zu verhindern". Zudem seien nach diesem Umbau "keine Updates möglich, kein Rücksetzen auf Werkseinstellung möglich, keine kabellosen Controller nutzbar".
Die Anstaltsleitungen in Sachsen-Anhalt können nach eigenem Ermessen entscheiden, ob sie diesen Aufwand für die Gefangenen betreiben. Das Justizministerium betont den "kostenpflichtigen Prozess über eine Fachfirma" zur Beschaffung und dass die Anstaltsleitungen ein "grundsätzliches Verbot von entsprechenden Spielekonsolen" aussprechen dürfen.
Von Super Tux bis Angry Bird
Berlin geht derweil andere Wege. Spiele wie "Backgammon, Minesweeper, Mahjong, Frozen Bubble, Data Wing, Super Tux, Naroth, Rattleheart, GameStart, Super TuxKart, Angry Bird" können für einen Euro pro Monat auf den 2023 eingeführten Haftraummediensystemen gespielt werden, wie netzpolitik.org berichtet. Jedoch seien die Anlagen sehr langsam, weil alte Koaxialkabel der Anstalten wiederverwendet werden. "Ich kenne nichts Vergleichbares, es wirkt selbst programmiert", sagt ein Gefangener damals.
Doch das neue System bringt auch andere Probleme mit sich: Am Stichtag entfernen Justizbeamte die bisherigen Fernseher und Konsolen aus den Zellen. Diese haben die Gefangenen meist mit eigenem Geld gekauft. Die Hardware bekommt man erst bei Entlassung wieder zurück, erklärt ein Gefangener aus Berlin. Das Haftraummediensystem solle alles ersetzen.
In Berlin konnten zuvor nicht näher benannte Playstations bezogen werden. Dabei sei ein Spielen mit Mitgefangenen nicht erlaubt – aufgrund der Gefahr, dass man um Geld spielen könnte. "Ego-Shooter oder gewaltverherrlichende als auch sexistische Spiele [sind] immer ausgeschlossen", so ein Sprecher aus Berlin.
Arbeit unter Mindestlohn und Lexibook statt Real Life
Zudem müsse Spielsucht verhindert werden. "Auch gilt es zu verhindern, dass Gefangene sich sozial zurückziehen und nicht mehr teilhaben wollen am realen Leben", so die Berliner Auffassung. Doch hat ein Alltag mit 23 Stunden Einschluss, Arbeit unter Mindestlohnniveau und einer Lexibook TV-Spielekonsole mit 200 vorinstallierten Spielen wirklich etwas mit dem realen Leben zu tun?
Etwas moderner wirken die umgebauten Konsolen, die ein IT-Unternehmen aus Schleswig-Holstein für JVAen umbaut. Neben der von den Ministerien genannten veralteten Hardware bietet dieses auch eine halbwegs aktuelle Nintendo Switch an. Das Unternehmen verspricht auf seiner Website Unterstützung bei der optimalen Kombination an Produkten, "damit Ihnen jeglicher Frust erspart bleibt".
Natürlich spricht der Techniker die Justiz an, wenn es um die Vermeidung von Frustration geht. Doch sollte Angst, Frust und Hoffnungslosigkeit gerade bei den Gefangenen vermieden werden: "Mit dem Einsatz von Videospielen in Gruppen kann u.a. die soziale Interaktionsfähigkeit gefördert sowie im Rahmen von sozialtherapeutischen Behandlungsmaßnahmen u.a. die Frustrationstoleranz erhöht werden", teilt das brandenburgische Justizministerium mit.
Wenn die Konsole sich zum wiederholten Male aufhängt, man jeden Pixel einzeln zählen kann und die hundertste Runde SuperTuxKart gedreht hat, wird wohl selbst die höchste Frustrationstoleranz auf die Probe gestellt. Und aus Frust entsteht nichts Gutes – schon gar nicht im Gefängnis.