Dieses Spiel will dir beibringen "Nein" zu sagen
Praktikant*innen stehen nicht nur in Gamestudios am unteren Ende der Nahrungskette. Das Comedy-Spiel Say No More greift die dazugehörigen Klischees auf – und erreicht mit seiner Botschaft nicht nur Menschen in der Probezeit.
Wann habt ihr das letzte mal zu jemandem "Nein" gesagt? Vielleicht zu eurem Chef, der nach Überstunden verlangte, oder Mitbewohner*innen, die schon wieder die Mietzahlung aufschieben wollen? Ohne dieses Wort fällt zwischenmenschliche Kommunikation in jedem Fall einfacher.
Say No More ist ein Spiel über dieses kleine Wort, das man ungern ausspricht. Die einfache Botschaft gekoppelt mit knallbunter Retro-Grafik und cartoonhaft übertriebenem Slapstick scheint ein großes Publikum angesprochen zu haben. "Aufgrund der vielen Gespräche im Vorfeld sind wir nicht überrascht", sagt Game Director Marius Winter.
"Wäre es nicht witzig, wenn…"
Das Konzept von Say No More ist bereits im Sommer 2017 entstanden. "Rumprobieren und Spontaneität war ein wesentlicher Faktor bei der Ideenfindung", so Art Director Nicolas Maihöfer. "Der Low-Poly-Stil im Look der PS1- und N64-Generation, gepaart mit Pixelart-Texturen, hat zum großen Teil dazu beigetragen, Ideen visuell auch schnell umsetzen zu können, ohne ein großes Team zu benötigen."
Im ersten Prototypen konnten Spieler*innen nur vier Dinge sagen: Ja, Nein, Vielleicht und 'Oh, wie interessant'. "Schnell stellte sich heraus, dass das Nein-sagen am meisten Spaß machte, aber so richtig", sagt Winter. "Und somit kam die Idee: Wäre es nicht witzig wenn es in dem Spiel nur ums Nein-sagen geht?" Tatsächlich eine gewagte Idee, werden Videospiele doch sonst besonders für komplexe Dialoge und möglichst vielfältige Interaktionsmöglichkeiten gelobt.
"Soziale Interaktionen zwischen Spieler*in und NPC fanden wir schon immer interessant und lustig, und haben uns demnach nur darauf fokussiert", erklärt Winter. Dass aus der Idee ein kommerzieller Release werden könnte, wurde Winter und Maihöfer aber erst durch die Reaktion der Spieler*innen klar.
Auf dem A MAZE Festival in Berlin zeigten sie den Prototypen, damals noch mit selbst gebastelten Werbestickern – und kamen erstmals direkt ins Gespräch mit Besucher*innen. "Die meiste Zeit wurde weniger über unser Spiel, sondern über unsere persönlichen Beziehungen mit dem Wort Nein gesprochen", erinnert sich Winter. Viele hätten angemerkt, sie würden gerne selbst öfter Nein sagen. Das Spiel scheint dabei geholfen zu haben. "Eine Freundin hat mir an einen Tag, nachdem sie unseren Prototypen gespielt hat, in einer SMS feierlich mitgeteilt dass sie an dem Tag bereits zweimal Nein gesagt hat", erinnert sich Winter.
Vom Hobbyprojekt zu Studio Fizbins neuen Spiel
Marius Winter und Nicolas Maierhöfer sind nicht nur Freunde, die in ihrer Freizeit ein Spiel entwickeln, sondern auch Kollegen. Beide arbeiten bei Studio Fizbin in Berlin. Das Indiestudio hinter dem Adventure The Inner World hat mit Lost at Sea und Minute of Islands gerade zwei Projekte in der Entwicklung. Say No More wurde zu einem dritten. "Das Team von Minute of Islands war größer", sagt Winter, "aber keiner von uns hat das Gefühl ein Projekt sei größer als das andere."
Auch wenn man Say No More für einen Gag auf einem Game Jam halten könnte, fiel die Suche nach einem Publisher nicht schwer und das Projekt wuchs. "Wir waren ein ungefähr achtköpfiges Team", so Winter. "Ein bunter Mix aus festen Leuten von Fizbin und externen Künstlern wie zum Beispiel Julie Buchanan, die sich um Musik und Sounds gekümmert hat, oder Brenden Gibbons, mit dem ich die Story und Texte geschrieben habe."
Diese Story nimmt eine größere Rolle ein, als man bei der Entstehungsgeschichte und die*der wortkargen Protagonist*in denken könnte. "Uns war klar, dass das Spiel etwas bewegen und Leute erreichen kann", so Winter. "Das ist der beste Effekt, den ich mir persönlich an einem Spiel erhoffe: Während des Spielens eine wunderbare, inspirierende Zeit haben, und sich danach in Selbstreflektion mit dem Thema des Spiels befassen."
Praktika zwischen Einstiegsjob, Klischee und Ausbeutung
Dieses Thema ist das Machtgefälle am Arbeitsplatz. Als neu angestellte*r Praktikant*in müssen sich Spielende gegen die Willkür der Bosse durchsetzen, die oft in ausbeuterischen Arbeitsbedingungen resultieren. Die sind ein Thema, das gerade in der Spielebranche stets präsent ist. "Ich persönlich hatte viel Glück mit meinen Praktika", meint Winter. "Niemand hat mein Pausenbrot geklaut!"
Brenden Gibbons, der Co-Autor von Say No More, habe hingegen schlechte Erfahrungen mit ätzenden Chefs und gewerkschaftsfeindlichen Angestellten gemacht. Gerade Praktikant*innen bekommen das am unteren Ende der Unternehmenshierarchie zu spüren, wie beim Hamburger Entwickler Daedalic.
Trotzdem sind Praktika ein wichtiger Teil einer Karriere in der Spielebranche. "Mein Weg führte auch über ein Praktikum", sagt Kathrin Radtke. Bei Say No More war sie die leitende Programmiererin. "Generell ist das auf jeden Fall eine gute Möglichkeit um Erfahrung zu sammeln, zu gucken, ob einem der Job gefällt, Kontakte zu knüpfen und einen Fuß in die Tür zu kriegen."
Dieser Artikel geht noch weiter...