Diese Mega-Man-Hommage schafft eine bessere Zukunft zwischen Utopie und Apokalypse
Dystopien und Apokalypsen gibt es in Videospielen viele. Das Actionspiel Protodroid Delta will zeigen, dass die Zukunft nicht zwangsläufig düster sein muss. Dabei sollte es zunächst vor allem originell aussehen.
Wenn sich Videospiele die Zukunft ausmalen, dann tun sie das meistens in dunklen Farbtönen. In unzähligen Titeln ziehen Spieler*innen gegen Alien-Invasionen, Zombie-Epidemien oder High-Tech-Unterdrückungsstaaten ins Feld. Am Ende retten sie entweder die Welt oder scheitern als Mahnmal für die Unausweichlichkeit der dystopischen Verhältnisse an ebendiesen.
Adam Kareem langweilt dieser Trend enorm: "Gibt es keine anderen kreativen Möglichkeiten in einer Geschichte zu zeigen, dass etwas auf dem Spiel steht? Statt einfach zu sagen: In dieser Welt ist alles schrecklich – wie in jeder anderen Welt, die wir euch gezeigt haben." Vor etwa zwei Jahren klickt sich der US-Amerikaner auf der Suche nach einer Alternative durch Pinterest-Bildergalerien. Kareem plant sein erstes kommerzielles Spiel Protodroid Delta, dessen spielerischer Kern schon feststeht: Bis dahin hat er zum Zeitvertreib vor allem Fangames zu Sonic und Mega Man entwickelt, nun will er das Gameplay und Spielgefühl des Klassikers Mega Man X mit einer eigenen Sci-Fi-Welt und eigenen Charakteren in die dritte Dimension überführen. Was ihm fehlt ist ein Setting, in dem das Springen und Schießen Sinn ergibt.
Solarpunk ist mehr als hübsche Science-Fiction-Malerei
Eine Illustration des Künstlers Steven Wong sticht bei dieser Recherche heraus. Wong hat sie für einen Wettbewerb des Designstudios Atomhawk zum Thema "Solarpunk" eingereicht. Kareem ist fasziniert von der "wunderschönen Brücke mit riesigen Solarzellen an der Seite" und sichtet gleich noch die restlichen Einsendungen: "Jedes Bild war einfach wunderschön, ehrfurchtgebietend, erhebend. Und deshalb habe ich angefangen, mehr darüber zu lernen, was Solarpunk ist." Weit mehr als hübsche Science-Fiction-Malerei, wie er bald feststellt.
Das nach Steam- und Cyberpunk benannte Genre Solarpunk taucht erstmals Mitte der 2000er-Jahre auf. Seitdem hat sich um einige Kernideen eine Szene gebildet, die alles andere als homogen ist. Die Solarpunks eint der Traum von einer Zukunft, in der die Menschheit die Klimakatastrophe abgewendet, auf erneuerbare Energie umgestellt und gesellschaftliche Hemmnisse von Rassismus bis Raubtierkapitalismus idealerweise gleich mit überwunden hat.
Das Spektrum reicht dabei von manchmal naiv anmutender Zukunftsträumerei bis hin zu handfestem DIY-Ethos. Wer durch den Solarpunk-Subreddit scrollt, findet Entwürfe für autofreie Städte neben Anleitungen für effektives Düngen, philosophischen Debatten über ein nachhaltigeres Leben, Literaturtipps sowie realen und fiktionalen Abbildungen von Solarpunk-Architektur – mit Vorliebe futuristische Metropolen zwischen poliertem Chrom und Stadtgarten oder Landidyllen mit High-Tech-Elementen.
Adam Kareem gefällt auf Anhieb die "inspirierende Mischung aus futuristischer Architektur und Bauwerken, die aber in Harmonie mit den natürlichen Elementen wie Bergen, Wasser, Vegetation und Bäumen zu funktionieren scheint." Außerdem mag er das Technologiebild des Genres, das für ihn – wie vieles an Solarpunk – ein komplettes Gegenbild zum ungleich bekannteren Cyberpunk ist. Technologie ist hier ein Werkzeug, das den Menschen dient, statt schlechten Einfluss auf sie auszuüben. Mensch und Maschine bleiben außerdem strikt getrennt: Das sehkrafterweiternde Netzhaut-Implantat des Cyberpunk wäre im Solarpunk eher eine sehr leistungsfähige High-Tech-Brille.
Die Zukunft ist nicht frei von Ärger
Der optimistische Blick des Genres beeinflusst neben Welt- und Charakterdesigns bald auch die Story von Protodroid Delta. Den düsteren Perspektiven dystopischer Science-Fiction und ihren erzählerischen Klischees etwas Interessanteres entgegenzusetzen ist Kareem ein Anliegen, für das er in Solarpunk einen passenden Verbündeten sieht: "In Spielen ist es sehr einfach, eine Prämisse zu schaffen, in der die Welt in Trümmern liegt oder die Menschheit ausgelöscht wurde. Alles ist schlecht und du bist der einzige Held, der etwas daran ändern kann."
In Protodroid Delta ist die Menschheit von Auslöschung weit entfernt. Radia, wie die USA des Jahres 2120 hier heißen, läuft seit einer bahnbrechenden Solar-Revolution komplett mit Sonnenenergie. Mensch und Natur existieren in Symbiose, was sich in prachtvoll begrünten, lebensfreundlichen Städten äußert. Frei von Ärger ist diese Zukunft aber nicht: Die Protagonistin Delta, eine hochentwickelte Androidin, muss sich etwa mit den Bossen gewalttätiger Straßengangs herumschlagen. Kareem will "eine Welt schaffen, die hoffnungsvoll ist, ohne sie völlig von echten Problemen wie Waffengewalt abzukoppeln".
Entsprechend kritisch sieht er die Tendenz, Solarpunk als vorrangig utopisches Genre zu betrachten. "Die Welt kann in Ordnung sein, aber Menschen werden immer noch menschliche Probleme haben. Es wird immer noch Konflikte zwischen Persönlichkeiten geben, Zusammenstöße von Ideologien. Die Technologie und der Zustand der Gesellschaft können vielleicht Auskunft darüber geben, wie die Leute diese Probleme lösen. Aber ich glaube, dass keine Utopie jemals die Probleme lösen kann, die Menschen untereinander haben."
Held*innen kann es auch geben, wenn die Welt nicht schrecklich ist
Erzählerische Schwierigkeiten für ein an Mega Man angelegtes und entsprechend schießwütiges Spiel verursacht der Utopie-Begriff außerdem. "Man braucht für ein Spiel irgendeinen Konflikt, wie für eine Geschichte auch", so Kareem, der sein Setting auf Steam und Kickstarter als "hoffnungsvoll, aber nicht-utopisch" beschreibt – wohl wissend, dass Solarpunk-Forenbeiträge genau diese narrativen Probleme diskutieren. Mit seinem Versuch, eine dramatische, aber nicht gleich schicksalsentscheidende Geschichte zu erzählen, landet er nah an manchen Strömungen des Solarpunk-Aktivismus, die im Kleinen große Veränderungen anstoßen wollen – etwa mit Guerrila-Gardening. "Ich mag den Gedanken, dass man nicht unbedingt die Welt retten muss. Es reicht, wenn du deine Welt rettest, um bedeutsam zu sein", sagt Kareem. "Du musst nicht gleich ein ganzes Land retten, sondern vielleicht nur die Menschen, die du kennst und die in Gefahr sind. Dann muss nicht die ganze Welt schrecklich sein, damit du immer noch heldenhafte Dinge tun kannst."
Dass es einen Bedarf an positiveren Zukunftsentwürfen gibt, steht für Kareem außer Frage. Zum einen langweilen ihn die Untergangsszenarien ("Cyberpunk sieht einfach so traurig aus!"), zum anderen sieht er verschenktes Potenzial im dystopischen Übergewicht: "Wenn ich nur Dinge konsumiere, bei denen die Menschen schrecklich sind oder die Zukunft irgendwie düster ist, dann wird sich das auf das auswirken, was ich für die Zukunft für möglich halte." Videospiele sind aus seiner Sicht aber auf einem guten Weg. Kareem freut sich darüber, "dass die Werkzeuge und der Zugang zu Spielentwicklung so sehr demokratisiert wurden" und diversere Perspektiven so Eingang in das Medium finden. Institutionen wie das Wholesome Games Showcase mit seinem Fokus auf niedliche, oft gewaltfreie Spiele sieht er als wichtigen Baustein in einer Spielelandschaft, die sich gern öfter ein besseres Morgen ausmalen darf.
"Ich bin kein Sprecher für das ganze Genre"
Welche Rolle der vielgestaltige Solarpunk in dem Ganzen künftig spielen kann, mag Kareem als selbsterklärter "wohlwollender Zuschauer, der von schöner futuristischer Architektur angezogen wurde" nicht beurteilen und schon gar nicht bewerten: "Ich bin kein Sprecher für das ganze Genre." Potenzial für den Einzug in den Mainstream sieht er schon, allerdings ist das Bewusstsein dafür, was genau Solarpunk eigentlich ausmacht, noch zu diffus – was wiederum ganz gut zum Ethos des dezentralen, kapitalismuskritischen Genres passt. Zwar entdecken Solarpunk-Anhänger*innen Elemente "ihres" Genres in zahlreichen Popkultur-Werken von Studio-Ghibli-Filmen bis Pokémon-Spielen. Noch fehlen aber das Spiel oder der Film, die für das Genre das sind, was Blade Runner einst für Cyberpunk war.
Ironischerweise kommt ein besonders einprägsames Mainstream-Beispiel für Solarpunk-Ästhetik ausgerechnet aus der Werbung. Der Milchproduktehersteller Chobani veröffentlicht Anfang 2021 einen Werbespot im Anime-Stil. Der macht in einer halben Minute den ganzen Reiz von Solarpunk begreiflich: Auf satten grünen Wiesen, unter blühenden Bäumen und fliegenden Windkraftwerken, fahren glückliche Menschen mit Robotern und Drohnen die Ernte für ein pastorales Festmahl ein. Ländliche Idylle, Hand in Hand mit Hochtechnologie, selbst die per Flugtaxi erreichbare Großstadt im Hintergrund wirkt freundlich.
Aus umweltaktivistischer Sicht lässt sich der Spot sicherlich mit einigem Recht als Greenwashing kritisieren, bildgewaltig ist er aber zweifellos. Für Adam Kareem bringt er auf den Punkt, was er auch mit Protodroid Delta vorhat. "Ich will etwas schaffen, das eine neue Perspektive auf unsere Zukunft bietet", sagt er. "Eine Zukunft, die wir anstreben können, im Gegensatz zu einer, die uns vorbestimmt ist."