Warum ein taiwanesisches Horrorspiel wegen einer Comicfigur verschwand
Detention ist ein Überraschungshit. Presse und Spieler*innen bewerten das Debüt des taiwanesischen Studios Red Candle Games überwiegend positiv. Laut der taiwanesischen Nachrichtenseite Liberty Times Net klettert es nach nur drei Tagen auf Platz sechs der internationalen Steam-Charts. Detention ist sogar so erfolgreich, dass es nach seiner Veröffentlichung im Januar 2017 als Film und Serie adaptiert wird. Beste Voraussetzungen also für den Nachfolger Devotion, der im Februar 2019 erscheint. Wäre da nicht eine versteckte Botschaft auf einem Talisman im Spiel, adressiert an Chinas Präsidenten: "Xi Jinping, Winnie the Pooh Moron."
Obwohl Red Candle Games beteuert, dass der Text auf dem Talisman nur ein vergessener Platzhalter sei, fluten erzürnte Spieler*innen beide Spiele des Studios mit negativen Bewertungen und Kommentaren auf Steam. Eine Woche nach Veröffentlichung verschwindet Devotion schließlich aus Valves Online-Shop. Das sorgt wiederum im Westen, in Taiwan und Teilen Chinas für Empörung. War Devotions Verschwinden wirklich notwendig?
Im Clinch mit dem mächtigsten Anführer Chinas
Eine mögliche Antwort findet sich bei einem Staatsbesuch Jinpings in den USA im Jahr 2013. Ein dort entstandenes Foto mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama verbreitet sich schnell im Netz. Weltweit merken Nutzer*innen an, Jinping ähnele auf dem Foto Winnie Puuh. Als die chinesische Regierung versucht, das Bild in China zu zensieren, hagelt es nur noch mehr Vergleiche.
"Zensur war in China schon immer strikt. Eine besondere Sensibilität herrscht aber um Kritik an hochrangigen Führungspersonen", erklärt Dr. David O’Brien. Er ist Dozent am Institut für Ostasienwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum und lebte für elf Jahre in China. Seit Jinpings Amtsantritt habe sich diese Sensibilität verstärkt. Das hänge auch mit dem Personenkult um Xinping zusammen, der ihn als gottgleich verehrt. "Xi Jinping ist der mächtigste Anführer Chinas seit Mao Zedong. Trotzdem scheint die Kommunistische Partei Angst vor allem zu haben, was diese Macht bedrohen könnte, selbst vor vermeintlich harmlosen Dinge wie Winnie Puuh."
Die Unabhängigkeit Taiwans ist bis heute ein Politikum
Laut zahlreicher Kommentare auf den Social-Media-Kanälen von Red Candle Games sehen chinesische Spieler*innen ein anderes Problem in Devotion. Sie finden, der Entwickler verhalte sich mit dem Talisman respektlos gegenüber der Bevölkerung des chinesischen Festlands und versuche, dem Spiel einen politische Ebene zu geben.
Konkret geht es bei den Vorwürfen um die Unabhängigkeit Taiwans von China. Nach ihrem Sieg im chinesischen Bürgerkrieg 1949 ruft die Kommunistische Partei unter Mao Zedong die Volksrepublik China auf dem Festland aus. Die unterlegene Kuomintang-Partei gründet ihrerseits auf der Insel Taiwan die Republik China – bis heute offizieller Name des Inselstaats. Weltweit erkennen allerdings nur 15 Länder Taiwans Souveränität an, Tendenz sinkend.
Für chinesische Patriot*innen widerspricht die Idee eines unabhängigen Taiwans ihrem Selbstverständnis, selbst für die jüngere Generation. Diese Einstellung geht auf die Ereignisse vom 4. Juni 1989 zurück. An diesem Tag besetzen regierungskritische studentische Protestierende den Tian’anmen-Platz. Das chinesische Militär zerschlägt den Protest, mehrere tausend Menschen sterben. "Nach Tian’anmen fand die Kommunistische Partei, dass Patriotismus ein zentraler Teil des Bildungssystems werden müsse", erklärt O’Brien. "Junge Personen sollten die Liebe für ihr Heimatland wiederentdecken." Kern dieser neuen Ausrichtung ist die Idee eines vereinten Chinas, zu dem ebenfalls Randgebiete wie Hongkong, Xinjiang und Tibet gehören. Taiwan sei laut O’Brien besonders stark von diesem Narrativ betroffen.
So wird ein Meme zum Sicherheitsrisiko
Neben den Vorwürfen patriotischer Spieler*innen hat Red Candle Games ein weiteres Problem. Winking Skywalker und Indievent, die Publisher von Devotion, trennen sich binnen weniger Tage nach Veröffentlichung vom Entwickler. Laut Iain Harner, Co-Gründer des Indie-Publishers Another Indie, verliert der chinesische Publisher Indievent trotz Distanzierung seine Vertriebslizenz.
Die Journalistin Khee Hoon Chan sieht den Grund dafür laut eines mittlerweile gelöschten aber in diversen Artikeln archivierten Tweets in der Kontroverse um Devotion. Auf Nachfrage von Superlevel übersetzt sie das Schreiben, das Harner in seinem Tweet geteilt hatte. Als Ursache für den Lizenzentzug führt die chinesische Regierung "eine Bedrohung der nationalen Sicherheit sowie der öffentlichen Interessen" an.